Aus den Feuilletons

Männer bashen Baerbock

04:23 Minuten
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne) hält hinter einem Pult stehend eine Rede.
Annalena Baerbock soll die Grünen ins Kanzleramt führen. © imago / Sepp Spiegl
Von Arno Orzessek · 20.04.2021
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Die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bewegt die Feuilletons. Die "Süddeutsche wirft" ihr vor, "blühenden Unsinn" zu reden. Der "Tagesspiegel" hingegen lobt Robert Habeck als modernen Politikertypus, der einer Frau den Vortritt ließ.
Annalena Baerbock ist also die Kanzlerkandidatin der Grünen. Und vor diesem Hintergrund jubelt der Berliner TAGESSPIEGEL: "Neue Männer hat das Land."
Andreas Busche schreibt "Eine Lobrede auf einen Politiker, dem gelang, woran viele scheitern: freiwillig Macht abgeben." Die Rede ist natürlich von Robert Habeck, der laut Busche viele Vorzüge auf sich vereint.
"Das Modell des mittelalten bürgerlichen Intellektuellen hat seine Halbwertszeit ja längst nicht überschritten. Habeck hat ihm mit dem Habitus des Zupackers zusätzlich sogar eine kernige Attraktivität verliehen, die bei Männern und Frauen ankommt. ‚Klassenmäßige Transgression‘ nannte Jürgen Trabant diese zuletzt in Mode gekommene kosmopolitane Hemdsärmeligkeit.
Robert Habeck ist fraglos ein moderner Politikertypus. Und trotzdem, beziehungsweise gerade deswegen hat er entschieden, dass es an der Zeit ist, einer Frau den Vortritt zu lassen."

Das Baerbock-Bashing

Diese Frau – Annalena Baerbock – hat am Montagabend einige Interviews gegeben und dabei im ZDF während der Unterredung mit Claus Kleber "blühenden Unsinn" geredet, wie die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meint.
Alexander Gorkow und Cornelius Pollmer stoßen sich insbesondere an folgender Aussage Baerbocks: "'Wir haben ja auch in anderen Ländern der Welt gesehen, welche Kraft es entfalten kann, wenn man nicht schon jahrelang durch die Politikmühlen gerieben wurde'‘"
"Welche entfaltete Kraft meinte sie? Den Sturm auf das Kapitol?", höhnen Gorkow und Pollmer. "Von wem, der nicht schon jahrelang durch die Mühlen der Politik getrieben wurde, sprach sie? Macron? (Mühlen plus Elite-Uni.) Kurz? (Mühlen. Jung nur an Jahren.) Johnson? (Mühlen plus Elite-Uni.) Von der Premierministerin aus Borgen? (Eine Fernsehserie. Keine Realität.) Meinte sie den bärtigen Italiener, den Dings, der schon wieder weg ist? Da fragte sogar der verdutzte Kleber: ‚Wer ist denn da Ihr Leitbild?‘"
Nicht weit entfernt von Satire à la "Titanic": das Baerbock-Bashing der SZ-Autoren Gorkow und Pollmer. Die übrigens auch die ARD nicht verschonen, den liebedienerischen Baerbock-Kommentar von Frank Jahn in den Tagesthemen hochnehmen und den Tagesthemen-Kommentar generell zu "der sprachlich schrecklichsten und erniedrigendsten Einrichtung des deutschen Fernsehens" erklären. Es liest sich herrlich.
Und Baerbocks Exklusivinterview im Privatsender ProSieben? Laut FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG "ist wohl noch nie jemand so leicht mit Allgemeinplätzen und wachsweichen Formulierungen davongekommen."
Und dafür macht Frank Lübberding die Moderatoren verantwortlich: die Schauspielerin Katrin Bauerfeind und den Journalisten Thilo Mischke.
"Bauerfeind (die eigentlich nur wissen wollte, ob Annalena Baerbock mit Blick auf die Verantwortung im Kanzleramt nicht 'der Arsch auf Grundeis' geht) und Mischke waren schlicht begeistert von Annalena Baerbock als der (potenziellen) Bundeskanzlerin ihrer Herzen. Am Ende applaudierten sie ihrem Gast auch noch. Ein Interview als unfreiwillige Selbstparodie, direkt übertragen aus dem Clubheim der Selbstzufriedenen. Das braucht man im Jahr 2021 nicht wirklich."
Meint der FAZ-Autor Lübberding.

Keine Kultur laut Infektionsschutzgesetz

"'Seid ihr eigentlich des Wahnsinns?‘", titelt die Tageszeitung DIE WELT, zielt damit aber nicht auf die grüne Brille des Fernsehens.
Janika Gelinek, die mit Sonja Longolius das Literaturhaus Berlin leitet, kann es nicht fassen, dass das neue Infektionsschutzgesetz "kulturelle Veranstaltungen pauschal verbieten will, ohne Unterscheidung, ob diese in Innenräumen oder unter freiem Himmel stattfinden sollen".
"Wie bitte?", erregt sich Gelinek, "Selbst wer keines der wissenschaftlichen Gutachten gelesen hat, die eine Ansteckungsgefahr im Freien bei gewissem Abstand für nahezu ausgeschlossen halten, selbst wer noch nicht wusste, dass ausnahmslos alle Veranstalter*innen schon im letzten Jahr ein Hygienekonzept vorlegen mussten und dass keine einzige, nein, k-e-i-n-e e-i-n-z-i-g-e Kulturveranstaltung als Spreadingevent bekannt geworden ist, darf mit nichts als dem guten alten Menschenverstand einmal fragen: Seid ihr denn verdammt noch mal des Wahnsinns?"
Janika Gelinek in der WELT. Wir haben dem allen nur noch ein Wort hinzuzufügen: Tschüss!
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