Aus den Feuilletons

Lohnt der Konzertbesuch im digitalen Zeitalter?

Ein gut besuchtes Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie
Die NZZ hält ein Plädoyer für den Besuch von Live-Konzerten im digitalen Zeitalter © dpa / picture alliance
Von Gregor Sander · 09.11.2017
"Musik muss man sehen", behauptet die "Neue Zürcher Zeitung". "Darf man früher gehen?" fragt derweil die "Welt". Über den Mehrwert von Konzertbesuchen, das Lebensende von Hans-Michael Rehberg und das Karriereende von Kevin Spacey wird in den Feuilletons debattiert.
"Musik muss man sehen", behauptet Victor Ravizza in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG in einem "Plädoyer für den Konzertbesuch im Zeitalter wachsender medialer Verlockungen".
Steht es denn so schlimm um die Ausbuchung der Konzertsäle, denkt man an dieser Stelle. Wer schon mal in der Hamburger Elbphilharmonie oder in der Berliner Philharmonie war, kann darüber nur lachen. Trotzdem schwelgt Ravizza:
"Man betritt folglich, in Gesellschaft von Gleichgesinnten, den Konzertsaal und richtet sich in körperlich domestizierenden Stuhlreihen auf das zu erwartende Ereignis ein. Man überschaut den 'Resonanzkasten' des Saales, bemisst Sichtbarkeit und Chancen guter Hörbarkeit und entspannt sich im Vorgefühl des bevorstehenden Kunstgenusses."
Nur ist das eben nicht jedermanns Sache. Oder jederfraus, denn in der Tageszeitung DIE WELT fragt Eva Biringer: "Darf man früher gehen?"
Sie meint damit allerdings nicht den Konzertbesuch, sondern den des Theaters. In beiden Fällen, ist vorzeitiges Gehen ja eigentlich nicht eingeplant, doch Biringer mault:
"Im dunklen Saal tickt die biologische Uhr besonders laut. So wie der Magen des Büroangestellten um Punkt zwölf Uhr mittags zu knurren beginnt, hat der Theatervielseher nach neunzig Minuten einen Sektdurst und spürt die Garderobenmarke in seiner Hosentasche jucken. Mitunter wird aus dem Ticken der inneren Uhr ein Vorschlaghammer."
Und so rät die Theaterkritikerin, wenn's langweilig wird, einfach zu gehen. Aber am besten unauffällig in der Pause. Wenn es die denn gibt.

Rehberg - "der letzte Realist des deutschen Theaters"

Einen Grund vorzeitig zu gehen, gab es nicht, wenn Hans-Michael Rehberg auf der Bühne stand. In seinem Nachruf, auf den am Mittwoch gestorbenen 79jährigen, schwärmt Gerhard Stadelmaier in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Um ihn schien auf der Bühne die Luft immer wie geladen. Er setzte sie unter eine Spannung, die in den Zuschauerraum übersprang. Man genoss dort förmlich die Gefahr, die er ausstrahlte: Als entlade sich jeden Moment ein funkensprühend dreinfahrender Donnerschlag – in höchstem Aggressionsgrad zwar, aber abgefedert und ausgehalten mit einem glanzvoll nervösen Flattern seiner ungeheuer sprechenden Augenlider oder mit einer selbstherrlichen Bändigungsgeste."
Christine Dössel von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gefielen besonders die von Rehberg verkörperten bad boys:
"Es war immer etwas Dämonisches um diesen strengen Schauspieler, etwas schillernd Diabolisches, was ihn dazu prädestinierte die Bösewichte und ernsten Männer der Macht zu spielen."
Und für Matthias Heine von der WELT war Rehberg "der letzte Realist des deutschen Theaters".

Kevin Spacey - geht es um Moral oder doch um Moneten?

Welche Rollen für Kevin Spacey bleiben werden, scheint immer fraglicher zu sein. Dem Schauspieler werden gerade schwere Vorwürfen der sexuellen Belästigung gemacht, und seine zukünftige Karriere dürfte beendet sein. Nun wird er aber auch rückwirkend bestraft, wie der Berliner TAGESSPIEGEL berichtet:
"Kevin Spacey wird von Regisseur Ridley Scott aus dem fertigen Entführungsdrama 'Alles Geld dieser Welt' herausgeschnitten – sechs Wochen vor dem US-Filmstart am 22. Dezember."
Laut David Steinitz von der SZ, ist das aber nicht nur eine Entscheidung der Produktionsfirma:
"Weil alle Verantwortlichen – inklusive der Hauptdarsteller Michelle Williams und Mark Wahlberg – zu der Überzeugung gekommen sind, dass das Werk mit Spaceys Beteiligung nicht mehr haltbar ist, wird Scott nun dessen gesamte Szenen herausschneiden und mit dem kanadischen Schauspieler Christopher Plummer neu drehen."
Eine Meinung zu diesem Rauswurf aus dem gedrehten Film sucht man in den Feuilletons leider vergebens. Obwohl in Hollywood lange zu bekannten sexuellen Belästigungen geschwiegen wurde, hat man es jetzt offensichtlich sehr eilig. Auch wenn Kevin Spacey noch gar nicht verurteilt ist. Da drängt sich dann doch der Verdacht auf, dass es weniger um Moral geht, als um Moneten. Oder wie die SZ titelt: "Amputation à la Hollywood".
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