Aus den Feuilletons

Literatur versus YouPorn

Beleuchtestes Neonreklameschild für Pornografie
Der Rowohlt Verlag stellte auf der Buchmesse den pornographischen Roman "Weltpuff Berlin" vor. © imago / Magictorch
Von Ulrike Timm · 11.10.2018
Die Feuilletons beschäftigen sich mal wieder mit dem Berliner Hedonismus, nur diesmal anders als sonst. "Weltpuff Berlin" heißt nämlich das Romanfragment von Rudolf Borchardt. Für den "Tagesspiegel" ein "rekordverdächtiger Fall von Maulhurerei".
"Was kann ein Telenotarzt, was ein Notarzt nicht kann?", fragt die TAZ. Und während man befürchtet, ob da mal wieder helfende Menschen abgeschafft werden zugunsten irgendwelcher Netzanalysen, erfährt man, dass so ein Telenotarzt sehr praktisch helfen kann, wenn er ein Rettungsteam bis zum Eintreffen eines realen Notarztes per Schalte unterstützt, indem er zum Beispiel Schmerzmittel verordnet.
Die darf die Besatzung eines Rettungswagens nämlich nicht geben. Dafür muss erst ein Arzt kommen und bis der kommt, entsteht, was man ein "therapiefreies Intervall" nennt. Hier kann so ein zugeschalteter Telenotarzt segensreich sein und deshalb probiert man das in NRW aus. Und Marc Felzen, leitender Telenotarzt, betont ausdrücklich gegenüber der TAZ:
"Nein, wir wollen auf keinen Fall den Notarzt abschaffen!" Denn bei allen Vorteilen, die die Zuschaltung eines Arztes zum Rettungsteam haben kann – reanimieren, beatmen, das wird nie von fern gehen, immer nur vor Ort und real. Der Telenotarzt - manchmal erfährt man ganz Handfest-Nützliches im Feuilleton, diesmal in der Rubrik "drei Fragezeichen" in der TAZ.

Geheimniskrämernder Empfang des rowohlt-Verlages

Handfest, sehr fleischig und irgendwie auch etwas ungut-feucht, so erlebte Marie Schmidt für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den geheimniskrämernden Empfang des Rowohlt Verlages, der auf der Buchmesse den pornographischen Roman "Weltpuff Berlin" vorstellte –die SÜDDEUTSCHE dazu lakonisch: "Männer im Hotel".
Gregor Dotzauer vom TAGESSPIEGEL hat "Weltpuff Berlin" schon beeindruckt, ein bislang streng unter Verschluss gehaltenes Romanfragment von Rudolf Borchardt von 1939, in dem sich ein Langzeitstudent im Blitzdurchlauf durch alle Betten bumst. "Grundstürzendes für die Geschichte der deutschen Literatur" war angekündigt, "Weltknochenmarkerschütterndes", wie es der TAGESSPIEGEL ironisch, aber auch mit spannungsvoller Erwartung formuliert.

Bizarr aus der Zeit gefallen

Es geht wohl saftig zu in diesen tausend Seiten, ein "rekordverdächtiger Fall von Maulhurerei", der den TAGESSPIEGEL zu Fragen inspiriert wie "Hat eine derartige Form der sprachlichen Imagination irgendeinen Vorzug gegenüber YouPorn-Videos?".
Die Kollegin der SÜDDEUTSCHEN erlebte die Chose sehr viel distanzierter und auch befremdet, "'Weltpuff', schreibt Marie Schmidt, "wird im Kontext seiner Zeit und Ästhetik hoch interessant zu lesen sein. Die Geheimnis-Sause des Rowohlt Verlages machte indes einen bizarr aus der Zeit gefallenen Eindruck. Aber vielleicht ist es andererseits gerade charakteristisch für die Gegenwart, dass man in der Blase eines Spezialinteresses fabelhafte Mengen von Bedeutung produzieren kann, um sich damit selbstbewusst, um nicht zu sagen breitbeinig, schräg zum Zeitgeist zu stellen."

"Kolonialismus bedeutet auch staatlich organisierter Raub"

Themenwechsel, radikal. "Während Frankreich die ersten Rückgaben von Kolonialgütern vorbereitet, verschanzt sich Deutschland hinter einer Mauer des Schweigens", meint der Jurist Wolfgang Kaleck in einem Gespräch mit der WELT. Kaleck war in Namibia, wo deutsche Kolonialsoldaten zwischen 1904 und 1908 bis zu 80.000 Herero ermordeten, um mit den Nachfahren der Überlebenden Möglichkeiten der Anerkennung des Völkermords und nach Reparationen auszuloten. Im Gespräch mit der WELT wird er sehr deutlich:
"Kolonialismus bedeutet nicht nur Krieg und Unterwerfung, sondern auch staatlich organisierter Raub. Man ermordete die indigenen Gemeinschaften und raubte ihr Land, ihre Kultobjekte und Kulturschätze. Und heute sagt man, nachdem damals eine Friedhofsruhe geschaffen wurde, dass auf diesem Friedhof das Zivilrecht für normale Zeiten gilt. Jedem muss doch auffallen, dass das so nicht geht. Man raubt nicht mit einer bewaffneten Bande ein Haus aus und fordert dann: Jetzt beweist uns mal, wo die Sachen herkommen, ob ihr sie ursprünglich rechtmäßig erworben habt und tatsächlich die Rechtsnachfolger seid. Und weist außerdem noch nach, ob wir das überhaupt waren, die da geraubt haben."
Das Thema wird uns wohl noch beschäftigen, wenn alle Aufregungen um den "Weltpuff" lange vorbei sind.
Mehr zum Thema