Aus den Feuilletons

Leichensäcke aus der Brexit-Box

04:22 Minuten
Notfall-Box mit Nahrungsmitteln und Medikamenten
Um auf mögliche Widrigkeiten des Brexits vorbereitet zu sein, stapeln sich in England Lebensmittel-Notfallrationen in Altenheimen, schreibt Alison Louise Kennedy in der "SZ". © Unsplash.com / RoseBox
Von Arno Orzessek · 27.01.2020
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Brexit, na und? Die Briten haben sich ihren schwarzen Humor bewahrt, schreibt die "SZ". Aus Sorge um Versorgungsengpässe würden Pakete, die einst als Atomkrieg-Notrationen fungierten, nun zu Brexit-Boxen umgelabelt. Darin für alle Fälle: Leichensäcke.
"Nun kann uns nur noch der Humor retten", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Laut Roman Bucheli kippt die ehemalige Spaßgesellschaft nämlich gerade in ihr Gegenteil und "wird zur Verbots- und Unlustgesellschaft". Gegen Griesgram und Verdrossenheit aber helfe allein das Lachen.
"Natürlich werden wir kein Gesetz und keine unsinnige Verordnung mit Lachen aus der Welt schaffen. Aber schärfer und zugleich lustvoller kann Unverstand nicht demontiert werden als mit den Mitteln der Komik. Die Briten machen mit viel Talent und noch mehr Vergnügen vor, wie so etwas geht. Niemand weiß, wohin das Land steuert, wenn es sich am letzten Tag dieses Monats aus der EU verabschiedet. Doch mögen auch Abgründe drohen, wird das die Briten nicht schrecken, denn abgründiger als alles war noch immer ihr Humor."
Stimmt das so? Wäre den meisten Briten im Hickhack rund um den Brexit das Lachen etwa nicht im Halse stecken geblieben? Unseres Erachtens vertraut Roman Bucheli einem Klischee. Und überhaupt vermissen wir in seinem Lob des Lachens die Gewitztheit.

Überlebensrationen für Atombunker neu verpackt

Andererseits juxt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die schottische Schriftstellerin Alison Louise Kennedy dermaßen derb über den Brexit, dass wir konzedieren: Restlos hat der schwarze Humor die Insel noch nicht verlassen.
"Unternehmen, die früher Gebinde mit 48 Portionen gefriergetrockneter Käsemakkaroni für Atombunker oder Katastrophenschutz lieferten, verpacken ihre Produkte jetzt neu als Brexit-Boxen. Und diese Boxen sind groß. So stapeln sich in den Heimen der Menschen Bunkereintopf, Dosenwasser, Dynamo-Taschenlampen und -Radios, Wärmefolie, Campingkocher und Gasflaschen. Medikamente sind schwieriger auf Vorrat zu bekommen. Ernsthaft kranke Briten, die dringend Medizin brauchen, unterliegen bereits einer Rationierung. Aber die gute Nachricht ist: Unser umfangreicher Vorrat an Leichensäcken ist nicht umsonst angelegt."
Alison Louise Kennedy in der SZ-Rubrik "Affentheater".

Hegel gegen ein falsches Klischee von Clans

"Von wegen bürgerlich", titelt die Tageszeitung DIE WELT. Cigdem Toprak behauptet, die Darstellungen der orientalischen Clans in Popkultur und Medien seien falsch, eben weil die Clans zunehmend verbürgerlicht dargestellt werden. Um zu zeigen, warum das falsch ist, zitiert Toprak tatsächlich Hegel – und resümiert:
"Nach Hegel hat die Familie die Funktion in der bürgerlichen Gesellschaft, dass sie sich selbst auflöst. Wenn die Kinder erwachsen sind, dann bilden sie ihre eigene Familie, ihr Stamm habe keine Bedeutung mehr. Das ist bei Clans aber anders. Denn hier ist das Familienoberhaupt nicht in der Kernfamilie, sondern dieser eine herrscht über die Verwandtschaft – und so muss auch ein erwachsener Familienvater bei seinen eigenen Entscheidungen noch auf dieses Familienoberhaupt – der älteste Bruder, der Vater oder ein Onkel – hören. Seine Loyalität gilt nicht nur seiner Ehefrau und seinen Kindern – sondern auch seinen Eltern, seinen Tanten, seinen Neffen und seinen Cousinen."
Tja! Wir meinen, dass genau dieser Sachverhalt – die verzweigte Loyalität innerhalb der Clans – aus den popkulturellen Clan-Darstellungen klar hervorgeht.
Wenn das stimmt, trägt der WELT-Autor Cigdem Toprak mit Hilfe Hegels doch nur Eulen nach Athen. Außerdem kennen wir bürgerliche Familien, in denen die Loyalität ebenfalls weit über die Kernfamilie hinausgeht. Sind sie deshalb womöglich Clans?

Trauer um Basketball-Star Kobe Bryant

Kurz sei noch erwähnt, dass der Berliner TAGESSPIEGEL seinen Bericht von der 62. Grammy-Verleihung "Im Schatten der Schwarzen Mamba" überschreibt. Denn als Schwarze Mamba hat sich der tödlich verunglückte Basketball-Superstar Kobe Bryant bezeichnet – und bei der Verleihung haben laut TAGESSPIEGEL alle ganz gerührt um ihn getrauert.
Ungerührt dagegen die TAGESZEITUNG. Sie stellt Kobe Bryants Festnahme wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs 2003 heraus. Und betont, dass Bryant "die Wut seiner Frau mit dem Kauf eines fünf Millionen Dollar teuren Brilliantrings" besänftigt habe.
Die TAZ, gewiss keine Zeitung von Reichen für Reiche, schreibt "Brillantring" übrigens fälschlicherweise mit i hinter dem Doppel-l.
Aber genug herum gekrittelt für heute! Letztlich stimmen wir ja doch dem TAGESSPIEGEL zu, der per Überschrift verkündet:
"Gar nicht so schlecht, die Welt."
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