Aus den Feuilletons

Leben über den Tod hinaus

Das Bild zeigt das Unendlichkeitszeichen im Meer.
Das Leben: Im Film manchmal eine Endlosschleife. © imago /Science Photo Library
Von Tobias Wenzel · 31.01.2019
Die Feuilletons beschäftigen sich mit dem Recht an der eigenen Lebensgeschichte, auch wenn man schon gestorben ist. Und mit dem "Murmeltier-Effekt", der Endlosschleife des Lebens und Sterbens, die bisher zum Glück nur im Film vorkommt.
Es gibt ein Leben nach dem Tod, kann man aus den Feuilletons vom Freitag herauslesen, ein Ende ohne Ende.
"Ist es nicht fragwürdig, das man über den Tod hinaus die Rechte an seiner eigenen Geschichte haben soll?", fragt Dirk Knipphals in der TAZ den Rechtsanwalt Karl Alich. Und der antwortet: "Das postmortale Persönlichkeitsrecht ist juristisch anerkannt, aber die Beurteilung in verschiedenen Gerichtsverfahren ist sehr unterschiedlich, das mag sein."

Das Recht an der eigenen Geschichte

Alich vertritt die Erben von Stella Goldschlag, der jüdischen Gestapo-Kollaborateurin, die Takis Würger in seinem Roman "Stella" zu seiner Hauptfigur gemacht hat. Der Anwalt fordert nun vom Hanser-Verlag, eine Passage im Buch zu schwärzen, in der Würger aus den denunziatorischen Akten eines sowjetischen Militärtribunals zitiert.
Der Autor habe diese Akten auf unzulässige Weise unkommentiert gelassen und die historische Figur der Stella Goldschlag als abscheulicher erscheinen lassen, als sie insgesamt war. Denn erst durch die Misshandlungen der Gestapo sei sie gefühllos geworden und zu einem "Monster".
Sie sei eben auch Opfer gewesen, sei denunziert worden und auf der Flucht gewesen. Das Buch, im Besonderen die zitierte Passage aus dem sowjetischen Militärtribunal, verletze die Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag. Sie ist 1994 gestorben. Aber die Rechte wirken in der Logik des Anwalts über ihren Tod hinaus.

Leben in Endlosschleife auf Netflix

Nadia, die Hauptfigur der neuen Netflix-Serie "Matrjoschka", erlebt immer wieder ihren 36. Geburtstag. Klingt nach einem Remake von "Und täglich grüßt das Murmeltier" mit Bill Murray. Ist es aber nicht, betont Matthias Hannemann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Die Unterschiede beginnen schon damit, dass Nadia am Ende ihrer Schleifen ums Leben kommt." Der Tod nach dem Leben, das Leben nach dem Tod. In Endlosschleife. Auch wirkt die Geschichte Hannemann zufolge nicht nur grotesk und komisch, sondern wird auch "kafkaesk, traurig und drastisch". Ist Nadia vielleicht in einem Videospiel gefangen? Sie selbst überlegt, so der Filmkritiker, ob sie "einfach die falschen Drogen genommen hat."

Der Unterschied zwischen "Hallo" und "Halt"

Das denken sich vermutlich auch einige Menschen, die ins Ausland reisen, dort gestikulieren wie zu Hause, aber missverstanden werden. "In der Sprache der Gesten endet die Globalisierung", schreibt Hannes Stein in der WELT.
Eine ausgestreckte Hand, deren Handfläche nach vorne zeigt, bedeute in den meisten westeuropäischen Ländern "Halt", in arabischen Ländern aber "Hallo": "Im Irak hatte dieses Missverständnis schreckliche, tödliche Folgen", schreibt Stein.
"Kurz nach der amerikanischen Invasion fuhr eine irakische Familie mit dem Auto auf eine Straßensperre zu. Neben ihr stand ein GI mit Schutzhelm, schusssicherer Weste und Maschinenpistole. Er streckte gebieterisch die Hand aus: 'Halt!' Das irakische Auto fuhr weiter."
Den traurigen Rest können Sie, liebe Hörer, sich selbst denken. Recht spät verrät Hannes Stein, woher er so viel über Gesten und ihre unterschiedlichen Bedeutungen weiß: aus einem Wörterbuch der Gesten, das der Franzose François Caradec verfasst hat.
Caradec war in einem Verein, dessen Mitglieder, darunter die Schriftsteller Raymond Queneau, Georges Perec und Italo Calvino, sich selbst sprachliche Zwänge auferlegten, um ihre Kreativität zu fördern. Stein schreibt über Caradec: "Er war ein 'Oulipolist' – oder genauer, er ist immer noch einer, denn aus dem Verein 'Oulipo' tritt man nicht aus, wenn man in die Grube sinkt. Man gilt dann nur als ein 'durch Sterbefall entschuldigtes' Mitglied."
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