Aus den Feuilletons

Latein - Sehr lebendig für eine tote Sprache

Von Tobias Wenzel · 26.12.2018
Die Nachrichten in lateinischer Sprache auf Radio Bremen Zwei sind nach einer Zwangspause zurück. Allerdings nur einmal pro Monat als Nachrichtenrückblick. Die "SZ" nimmt das als Anlass, die mangelnde Latein-Sprachkenntnis bei der Presse zu beklagen.
"Secretaria civitatis Gallica, Marlène Schiappa, cui aequationis negotia mandata sunt, parentes plagillas sive in nates sive in genam liberorum infligere vetare vult", heißt es, die vermutliche antike Aussprache nachempfindend, in den Lateinnachrichten auf Radio Bremen Zwei. Die sind, nach einer einjährigen Pause mangels Übersetzer, nun wieder zu hören, und zwar einmal pro Monat als Nachrichtenrückblick, wie Hermann Unterstöger in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt.

Begeisterung für das Lateinische

Er löst auch die zitierte Nachricht der letzten, also noch aktuellen Ausgabe von Ende November auf: "In der Spitzenmeldung wurde berichtet, dass die französische Staatssekretärin Marlène Schiappa plane, Eltern den Klaps auf den Po ihrer Kinder zu verbieten - ein lobenswerter Vorsatz, dessen lateinische Version zudem davon in Kenntnis setzt, dass der Po mit nates zu übersetzen ist, also dem Plural von natis, die Hinterbacke."
Für eine tote Sprache sei das Lateinische doch sehr lebendig, schreibt Unterstöger und nennt als Beispiel unter anderem die lateinischen Fassungen zu "Max und Moritz" und "Harry Potter": "In der Presse hat es das Lateinische hin und wieder schwer, weil bei vielen Journalisten die Sprachkenntnis mit der Begeisterung nicht Schritt hält. Dem Hang, mit lateinischen Brocken zu glänzen, tut dies keinen Abbruch, weswegen man oft Zitate vorfindet, bei denen man sich denkt: Mit Englisch, Freundchen, hättest du dir das nicht erlauben können."
Nachhilfe gibt es schon bald mit dem nächsten Latein-Nachrichten-Monatsrückblick auf Radio Bremen Zwei um Mitternacht zwischen dem 2. und 3. Januar. Thema könnte dann der Skandal um den Journalisten Claas Relotius sein. Der Nachname klingt jedenfalls schon mal richtig lateinisch. Die Causa Relotius ist in den Feuilletons vom Donnerstag allerdings nur Thema am Rande.

Der Koloss des Kinos

Beiseite gedrängt von einem Großen, der an diesem Donnerstag 70 wird: "Er ist der Elefant in jedem Raum, den er betritt", schreibt Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Wenn er kommt, ändert sich die Stimmung auf der Szene, als hätte jemand die Lampen ausgetauscht: Die Kulissen schrumpfen, die Femme fatale ist nur noch halb so fatal; der jugendliche Held wirkt plötzlich blass. Jetzt strahlt nur noch einer, Depardieu, der Koloss des Kinos." Der französische Schauspieler Gérard Depardieu also.
"Man nennt das Präsenz, aber im Grunde ist es mehr Zukunft als Gegenwart: das Gefühl, dass jederzeit alles passieren kann, nur weil dieser Mann vor der Kamera steht, Schreie und Flüstern, Liebe und Gewalt", heißt es weiter bei Kilb. "Und dann, ansatzlos, hebt er mit einem Satz, einem Augenbrauenzucken die Spannung auf, und das Spiel geht weiter, als wäre nichts gewesen, nichts als seine ungeheure Anwesenheit."

Der Klang der Automarke

Die Anwesenheit der Stadt in all ihren Regungen nimmt wohl kaum jemand so detailliert wahr wie der Historiker und Stadtforscher Peter Payer. "Eine spannende Sache, was uns da entgegenblinkt, -leuchtet, -weht", sagt er im Interview mit Andrea Seibel für DIE WELT. Payer hat ein Buch mit dem Titel "Der Klang der Großstadt" geschrieben, in dem er auch nachempfindet, wie die Stadt Wien vor über 100 Jahren klang.
Aber er macht sich auch Gedanken über den Klang der Zukunft: "Ob die Straßen wirklich leiser werden mit der Elektromobilität, bleibt abzuwarten. Wir bekommen EU-weit nächstes Jahr ein Zwangsgeräusch per Gesetz verordnet", sagt er. Es geht um Signalgeräusche in Elektro-Autos, die verhindern sollen, dass jemand überfahren wird, weil er das herannahende Fahrzeug nicht hört. "Daran wird in den Autokonzernen mit Hochdruck experimentiert", verrät der Wissenschaftler. Es solle schöner klingen und gleichzeitig die jeweilige Automarke widerspiegeln. In seinen Worten: "Was nehmen wir da? Warum nicht Vogelgezwitscher? Die ganze Stadt klingt dann nach Vögeln! BMW klingt nach Specht und VW nach Spatz."
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