Aus den Feuilletons

Künstler und Verbrecher ohne Moral

06:25 Minuten
Nahaufnahme von Cellinis Skulptur: Perseus mit dem Kopf der Medusa.
Darf man die Kunst eines Mörders gut finden? Diese Frage stellt sich beim Blick auf Cellinis Perseus-Skulptur. © imago / Design Pics / Michael Interisano
Von Arno Orzessek · 27.03.2021
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Benvenuto Cellini war nicht nur ein begnadeter Bildhauer: „Er war ein Sex-Monster und ein Mörder“, ist in der „NZZ“ zu lesen. Heute hätte sein unmoralisches Gebaren auch Auswirkungen auf die Bewertung seiner Kunst, wird dort vermutet.
"Die deutschen Wortschöpfungen sind die schärfsten Spaßbremsen", behauptete die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, aber nicht etwa, um im Kontrast schwizerdütsche Wortschöpfungen als Spaßbeschleuniger zu feiern. Nein, Paul Jandl hatte einfach Lust, mal ein paar deutsche Wörter aufs Korn zu nehmen, und führte aus:
"Ein Ort, an dem man zuverlässig den Grenzen des Ichs begegnet, ist das Kassenband im Supermarkt. Dort liegen Gegenstände, für die sich die zuständigen Benennungsbehörden Wörter wie 'Warentrennbalken' oder 'Warendifferenzierungsmodul' ausgedacht haben. Solche Begriffe sind Euphemismen, die darüber hinwegtäuschen wollen, dass das kundenförmige Ich hier in seiner beispielhaften Begrenzung offenbar wird. Die Menschen in Norddeutschland haben sich nicht täuschen lassen und nennen besagten Gegenstand 'Miendientje'. Das heißt so viel wie 'Meins-Deins'. Gebräuchlich sind in unserem Sprachraum auch noch Begriffe wie 'Kundenabstandhalter', 'Dreidel' oder 'Plönkel'".
So Paul Jandl, der unseren Sprachschatz um mehrere Wörter erweitert hat, die im Übrigen –"Plönkel", "Miendientje" – überhaupt keine Spaßbremsen sind.

Merkels Entschuldigung

Die Sätze der Woche – das waren gewiss jene, mit denen sich Angela Merkel für die Rücknahme der angeordneten Osterruhetage entschuldigt hat. "Moment mal", titelte daraufhin die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, für die Kurt Kister das Vorkommnis interpretierte:
"Weil ihr Kalif, Doktor Helge Braun, der Kanzleramtsminister, bei den Ruhetagen wirklich viel zu wenig nachgedacht hatte, blieb Merkel nichts anderes übrig, als den, bitte um Entschuldigung, Scheiß abzuräumen. Von allen schlechten Möglichkeiten ist in diesem Land im Jahr 2021 das öffentliche Mea culpa, versendbar und verfremdbar als Meme, noch die Lösung. Es gibt dann Respektbezeugungen, Talkshowphilosophie, Fehlerkulturgerede und Artikel wie diesen. Hätte man sich alles gerne erspart. Aber wenn man schon so einen Mist baut oder ihn Helge Braun bauen lässt, dann ist es besser, wenn in sechs Wochen – ganz kurze Aufmerksamkeitsspannen in der Digitalgesellschaft! – das mit der Entschuldigung mehr im Gedächtnis bleibt als der Mist selbst."
Hier "Mist", dort "Scheiß". Könnte man Feuilletonartikel riechen, den von Kurt Kister würde man leicht herausriechen.

Der oder die "total Gute" ist gefährlich

Hätte er besser schweigen sollen? Markus Gabriel, Ulrike Guérot, Jürgen Overhoff, Hedwig Richter und René Schlott würden das verneinen. Das intellektuelle Quintett beklagt, die Diskussionen in waltender Pandemie seien vergiftet.
Es hat deshalb "Das Manifest der offenen Gesellschaft" verfasst, selbigen mit dem Appell verbunden "Tauschen wir uns endlich ruhig und angstfrei aus" und Unterstützer gewonnen.


Deren Ansichten waren nun wortgleich in der Wochenzeitung DER FREITAG und in der Tageszeitung DIE WELT zu lesen. Was indessen die Publizistin Rebecca Niazi-Shahabi verlautbarte, klang nicht nach ruhigem Austausch, sondern nach krassester Attacke in Richtung linker Identitätspolitik:
"Das Schlimme am Totalitarismus ist ja nicht, dass Böse Böses vorhaben, sondern dass das Gutgemeinte maßlos ausgedehnt wird, bis es schließlich alles andere in der Gesellschaft verschlingt. Der oder die 'total Gute' ist auch deswegen so gefährlich, weil die total Guten bis zum letzten Moment glauben, sie seien auf der richtigen Seite."

Beuys war kein Kämpfer der Aufklärung

Ebenfalls angriffslustig: die Ausführungen von Hanno Rauterberg zu Joseph Beuys in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Beuys war nicht der, als der er jetzt zum 100. Geburtstag gefeiert wird. Er war nicht links, kein Systemsprenger und erst recht kein Kämpfer der Aufklärung. Obwohl er für die Grünen antrat, hielt er die parlamentarische Demokratie für einen schlimmen Irrweg. Er wetterte gegen die 'Parteiendiktatur' wie heute ein AfDler. Auch für die Umweltbewegung, den 'Spinat-Ökologismus', wie er es nannte, hatte er nur wenig übrig. Seine Gedankenwelt war nicht grün, vielmehr schillerte sie in den Farben der Esoterik. Und wer genauer hinschaut, wird eine bräunliche Grundierung kaum übersehen können."

Den Theaterbetrieb reformieren

In der TAGESZEITUNG bekam es der zeitgenössische Theaterbetrieb um die Ohren – und zwar von sechs Regiestudentinnen, die sich "hfs Ultras" nennen:
"Das Theater ist ein System, das von Ausbeutung und Unterdrückung profitiert. Es gibt eine Kaste von unbezahlten Hospitant*innen, die unglaublich viel arbeiten. Dann gibt es die Assistent*innen, die sehr wenig verdienen und die sogenannten weisungsgebundenen Gruppen – Schauspieler*innen, Tänzer*innen. Dieses Wort, weisungsgebunden, ist ja schon so schön entmündigend. Und an der Spitze ist ein Machthaber, meistens ein Mann älterer Generation, der alle künstlerischen, finanziellen und organisatorischen Entscheidungen fällt. Egal, ob er dafür qualifiziert ist oder nicht. Es gibt am Theater aus einem 68er-Kunstverständnis heraus eine Unschärfe. Kunst wird aus übergriffigem Verhalten legitimiert – und umgekehrt."
Richtig sauer: die "hfs Ultras" in der TAZ.

Benvenuto Cellini, das unmoralische Genie

Entfernt passend dazu: Der NZZ-Artikel "Er war ein Sex-Monster und ein Mörder". Gemeint war Benvenuto Cellini, dessen "Perseus mit dem Medusenhaupt" die NZZ als "Höhepunkt der Renaissance-Skulptur" feierte. Cellini, muss man wissen, hatte einst drei Morde gebeichtet:
"Künstler und Verbrecher sind Weggefährten", hob Philipp Meier an, "beide sind ohne Moral. So jedenfalls glaubte es Joseph Beuys zu wissen. Heute leben wir in moralisch aufgeladenen Zeiten. Alle meinen sich im Klaren zu sein darüber, was gut und was böse sei. Und glauben vor allem auch, es alle andere wissen lassen zu müssen. So fragen wir uns heute allen Ernstes, ob unmoralisches Gebaren der Genialität eines Künstlers nicht abträglich sein müsste – oder zumindest wesentliche Abstriche bei der Anerkennung seiner Kunst zur Folge haben sollte."
Bevor jemand auf falsche Gedanken kommt: Der NZZ-Autor Meier hat Cellinis Morde nicht verniedlicht. Er wies aber darauf hin, dass es allzu oft nicht die reinen Seelen waren, die große Kunst schufen.
Das war's für heute. Falls Sie wütend sind, weil wir das spannende Thema nicht vertiefen können, entgegnen wir Ihnen mit einer Überschrift der SZ: "Die Wut ist berechtigt".
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