Aus den Feuilletons

Kamingeflüster

04:21 Minuten
Feuer brennt in einem eingebauten Kaminofen
Was der Kamin einst an Privatsphäre brachte, nehmen heute smarte Technologien. © picture-alliance / dpa / Florian Schuh
Von Tobias Wenzel · 10.09.2019
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Was haben Kamine und Schornsteine mit unserer Privatsphäre zu tun? Die "Süddeutsche Zeitung" erklärt: Einst scharten sich Hausbesitzer, Tiere und Diener zum Schlafen gemeinschaftlich um eine zentrale Wärmequelle. Der Kamin ermöglichte die Trennung.
"Ein Kritiker schäumte damals, diese angeschnittenen, unterbelichteten Aufnahmen, die verkanteten Bildhorizonte und banalen Motive sähen aus wie ein Haufen Kinderfotos, die an der Straßenecke entwickelt wurden. Das Zeug gehöre einfach in den Müll", erinnert Alex Rühle in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG daran, wie Robert Franks Fotoband "The Americans" 1958 von diesem Kritiker aufgenommen wurde. "Der Mann irrte, die zuweilen aus der Hüfte oder dem fahrenden Auto geschossenen Fotos von Jukeboxes und feisten Politikern, Freiluftgottesdiensten in den Sümpfen des Mississippi, versteinerten Ehepaaren, Cowboys in New York und Schwarzen bei einer Beerdigung in South Carolina sollten so stilbildend werden wie das ganze Buch. Es dürfte tatsächlich schwer sein, einen anderen Bildband zu finden, der ähnliche Auswirkungen hatte auf die Fotografiegeschichte wie ‚The Americans‘."
Mit dem schweizerisch-amerikanischen Fotografen und Regisseur Robert Frank ist ein wirklich bedeutender Künstler gestorben – das machen die Feuilletons vom Mittwoch auch durch den Umfang der Nachrufe klar. "Robert Frank näherte sich in seiner Arbeit einer Sache, an die sich heute kaum ein Fotograf mehr herantraut: der Wahrheit", schreiben Swantje Karich und Hans-Joachim Müller in der WELT. "Im Rückblick erscheint es, als seien alle Bilder Franks ebenso wie die Dutzenden von Filmen, die er gedreht hat, nur einem einzigen Thema gewidmet: dem Tod, dem Scheitern und der Kälte, die zwischen den Menschen herrscht", urteilt Freddy Langer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. In der SZ verrät Alex Rühle, was Robert Frank von Denkmälern hielt, die man ihm errichten wollte. Nichts. Oder in Franks Worten: "Und die Tauben scheißen drauf!" Auch auf Schornsteine.

Anfang und Ende der Privatsphäre

Schornsteinen und Kaminen haben wir die Privatsphäre zu verdanken. Das behauptet der US-amerikanische Anthropologe Douglas Rayback, der wiederum von Adrian Lobe in der SÜDDEUTSCHEN zitiert wird: "Zuvor schliefen die Haushaltsmitglieder im gleichen Raum mit einer Zentralheizung, die durch ein Loch darüber abzog", schreibt Rayback. "Selbst wohlhabende Menschen schliefen nahe ihrer Diener – und manchmal auch mit ihren Tieren. Mit Kaminen kam die Möglichkeit für Trennung und Privatsphäre, speziell für Reiche."
Lobe zitiert das zu den Anfängen der Privatsphäre, um zu deren Ende überzuleiten: Es wachse eine Generation von Menschen heran, die durch die Benutzung von internetfähigen Geräten ihre Privatsphäre verlören und damit "ein großes Stück Freiheit". Das erinnert Lobe an das Leben auf dem Land vor langer Zeit: "Der Verlust von Privatsphäre führt dazu, dass auch das Leben und bestimmte Rollenbilder dörflicher werden, wie in einer vormodernen Gesellschaft. Jeder kennt jeden, seine Frauengeschichten, Eskapaden, Krankenakten, berufliche Situation und so weiter." So habe Amazon das Patent für einen Kühlschrank angemeldet, der durch Sensoren und Kameras verdorbene Lebensmittel erkenne. Lobe folgert: "Amazon weiß also, wer Milch im Kühlschrank verderben lässt und wer ein Messie ist."

Der Unterschied zwischen Dur und Moll

Und vielleicht auch bald, wer Ahnung von Musik hat. Bis dahin beurteilt das Jan Brachmann. Für die FAZ hat er den Vortrag gehört, mit dem Nike Wagner das Bonner Beethovenfest eröffnet hat. Brachmann ist entsetzt darüber, wie wenig die Festivalintendantin über Beethoven sagt. Aber das passe zum Programm, in dem Beethovens Musik viel zu kurz komme. Brachmann nimmt Nike Wagners Vortrag auseinander. So habe sie gesagt, die Musik nach 1800 habe die Nacht zum Thema gemacht und zwar "vorwiegend in Moll". Der Kritiker widerlegt sie unter anderem mit Chopin, der elf von 21 seiner "Nocturnes" in Dur komponiert hat. "Kennt Nike Wagner den Unterschied zwischen Dur und Moll?", fragt Brachmann und antwortet: "Nein."
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