Aus den Feuilletons

Janosch meldet sich mit Zeichnungen zurück

06:19 Minuten
Janosch posiert vor seinem Bild "Der Tiger mit grüner Nase".
Alle - egal, ob jung oder alt – lieben Janosch. © picture alliance / Roland Weihrauch / dpa
Von Ulrike Timm · 13.03.2021
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Er bringt Kinder zum Lachen und Erwachsene zum Schmunzeln. Bis 2019 erschienen Janoschs Wondrak-Geschichten vom Antihelden in Tigerlatzhose im ZEIT-Magazin. Zu seinem 90. Geburtstag gibt es nun neue, bislang unveröffentlichte Zeichnungen.
Wer redet mit wem worüber und wenn ja, wie? Was für verschlumpfte Debatten diese Woche doch bestimmten, um mal eine kleine Anleihe bei Markus Söder zu machen! Ob wir uns als Gesellschaft tatsächlich selbst verzwergen? Die Baustellen der Woche lassen darauf schließen: Thierse und Anti-Thierse oder wer darf die junge afroamerikanische Lyrikerin Amanda Gorman übersetzen und wer nicht. Echt wahr – und das ist das eigentlich Erschütternde.
Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kritisierte, dass die Fixierung auf die Interessen einzelner Gruppen das gesellschaftliche Gespräch zerstöre. Im Streit um Identitätspolitik wollte er wohl beruhigen, das aber ging gründlich schief, stattdessen geriet er in die Schusslinie der SPD-Parteivorsitzenden.
In der FAZ rief Alexander Armbruster – bedingt ernst gemeint, "auf einen Espresso" – zum "Identitäts-Management" auf, in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG konstatierte Eric Gujer – ziemlich ernst gemeint: "Identitätspolitik ist ein Gift".

Gruppendenken stellt Zugehörigkeit über Vernunft

"Thierse stellt die Machtfrage, indem er auf zweierlei beharrt. Für ihn ist erstens der Zusammenhalt einer Nation wichtiger als die Befindlichkeit einzelner gesellschaftlicher Gruppen und Minoritäten. Zweitens sollen in einer Diskussion Qualität und Vernunft eines Arguments den Ausschlag geben, nicht Geschlecht, Hautfarbe oder Religion", so fasst es der Schweizer Kollege zusammen. Argumente auf ihre Qualität hin abzuklopfen, sei ein Wert der Aufklärung.
Inzwischen aber drehe sich wieder alles um "Gender, Hautfarbe oder Abstammung", was letztlich wieder reaktionär sei, so die NZZ, denn: "Verteidigt wird dann jemand, nicht weil er richtig gehandelt hat, sondern weil er einer 'von uns' ist. Diesen Mechanismus kann man gut an der katholischen Kirche bei ihrem Umgang mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs beobachten. Gruppendenken stellt fast automatisch die Zugehörigkeit über die Vernunft."

Wer darf, wer kann, wer soll Literatur übersetzen?

Eben das kriegten auch die junge niederländische Schriftstellerin Marieke Lucas Rijneveld und der katalanische Übersetzer Victor Obiols zu spüren – sie mussten den Auftrag, das wortmächtige Langgedicht der jungen afroamerikanischen Schriftstellerin Amanda Gorman zu übersetzen, wieder abgeben. Weil nicht Schwarz, nicht jung, nicht dünn, nicht Frau… eben: falsches Profil.Die SZ holte dazu Stimmen von einem Dutzend Übersetzerinnen ein, – "Wer darf, wer kann, wer soll Literatur übersetzen?" – mit klar überwiegend skeptisch bis ablehnendem Tenor gegenüber der Haltung, Herkunft und Erfahrungshorizont seien ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Individualität, Klang und Gedankenwelt aus einer fremden Sprache zu übertragen. Und in der WELT meinte Deniz Yücel:
"Wer meint, Amanda Gorman könne nur von schwarzen Übersetzerinnen in andere Sprachen übertragen werden, interessiert sich nicht für die Lyrikerin Gorman, sondern für die eigenen ideologischen Projektionen auf sie. Für dieses Denken, das Menschen ihre Individualität abspricht und in ihnen bloß Repräsentanten und Träger von Identität sieht, gibt es einen Fachbegriff: Rassismus. Gorman selbst hat sich zu dieser Diskussion bislang nicht geäußert."
Vielleicht hat sie den Ameisenaufstand schlicht nicht mitgekriegt bislang. Wenn doch – kluge Frau.

Langsam raus aus der Lockdown-Tristesse

"Wir können das", heißt es dagegen zaghaft-mutig aus Berlin, wo neun Theater und Konzertsäle in einem Pilotprojekt Aufführungen ansetzen. "Es ist ein Testballon, mehr nicht – aber mit etwas Glück ja vielleicht ein erster Schritt in die Zeit nach der Lockdown-Tristesse", so Peter Laudenbach in der SZ. Das Publikum braucht personalisierte Eintrittskarten und einen aktuellen negativen Corona-Test, die ganze Sache wird höchst umständlich, und doch war zum Beispiel das Konzert der Berliner Philharmoniker nach vier Minuten ausverkauft.
"Hätte die Forderung der Institutionen nicht lauten müssen: Wenn nur getestete Besucher eingelassen werden, dann dürfen wir im Gegenzug aber auch 100 Prozent der Plätze belegen und die Menschen dürfen sich bei uns im Haus frei bewegen, ohne Masken?" fragt der TAGESSPIEGEL Philharmoniker-Intendantin Andrea Zietzschmann. Ihre Antwort: "Die Frage ist absolut berechtigt. Für dieses Pilotprojekt setzt der Senat auf eine doppelt und dreifache Absicherung. Aber eines steht doch im Vordergrund: Wir möchten Kultur wieder möglich machen, nicht nur die Säle, sondern die menschliche Seele öffnen. Das Pilotprojekt ist hier ein wichtiger Schritt."

Das Unfassliche beherrschen

"Ins Offene!", titelte denn auch die ZEIT, wo Hanno Rauterberg die Bilder von Caspar David Friedrich in einer Düsseldorfer Ausstellung besuchte und meinte, der Blick auf Kunst generell und diese berühmten Landschaftsbilder im Besonderen sei jetzt ein anderer:
"Friedrichs Blick findet keinen Halt, und dass ausgerechnet diese Haltlosigkeit bei ihm zu einer schönen, stimmigen Form gelangt, macht das Geheimnis seiner Bilder aus. Und wohl auch deshalb fühlt man sich vor diesen Bildern auf die pandemische Gegenwart verwiesen, die nichts mehr ersehnt als sichere Gewissheit. Sie will das Unfassliche beherrschen und schaut doch in eine Zukunft, so nebeltrüb wie Friedrichs Landschaftsbilder."

Alles Liebe zum Geburtstag, Janosch!

Einem aber muss noch gratuliert werden, glasklar. Na? "Wohltuende kleine Spritze, blauer Traum, Operation vorbei, nix gemerkt. Tiger gesund." Janosch wurde 90, der Schöpfer des kleinen Bären, der Tigerente und allerhand anderem, was bestimmt gesund macht.
Am schönsten gratulierte die ZEIT, in der der Zeichner uns beschenkt: mit elf bislang unveröffentlichten Wondrak-Geschichtchen. Und einer kleinen Lebensweisheit gleich auf dem Titel des ZEIT-Magazins: "Herr Janosch, freut man sich über Geschenke zum 90. Geburtstag? - Nein, man freut sich erst über die zum 98." Möge er den auch noch feiern, stillvergnügt samt Bär und Tigerente.
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