Aus den Feuilletons

Ist die Berlinale ein "Deutschvermeidungsfestival"?

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Eine Kamera schwebt an einem Kran vor dem Berlinale-Logo am Berlinale-Palast.
Hans Georg Rodek beklagt sich in der „Welt“ darüber, dass auf der Berlinale zu viel Englisch und zu wenig Deutsch gesprochen wird. © Christoph Soeder/dpa
Von Ulrike Timm · 23.02.2020
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In der „Welt“ macht man sich Gedanken über Deutsch als erste Sprache auf der Berlinale. Schließlich wünscht man sich in Cannes "bonne projection" und in Venedig "Buona Proiezione". Nur in Berlin heißt es "good screening".
"Deutschvermeidungsfestival", so steht es fett, in roter Schrift und irgendwie schon optisch ärgerlich einmal quer über eine Seite der WELT. Hans Georg Rodek fühlt sich auf der Berlinale nicht recht wohl. Zu viel Englisch. Untertitel, Talks und Konferenzen.
"Damit wir uns nicht falsch verstehen", schreibt der Autor, "es geht nicht darum, Englisch zu verdrängen und die vielen internationalen Gäste mit einer schwierigen Sprache allein zu lassen. Es geht vielmehr darum, Deutsch als die erste Sprache auf der Berlinale überhaupt wieder zu etablieren, so wie Französisch in Cannes oder Italienisch in Venedig."

Es geht um Identität

Es geht um Sensibilität, um Identität, die anderenorts selbstverständlich sei. Rodek wundert sich, wenn ein deutscher Film ausdrücklich auf Englisch angekündigt und am Ende "good screening" gewünscht wird. "In Cannes wünscht man 'bonne projection', in Venedig 'Buona Proiezione'". Weiter heißt es in der WELT:
"Man redet Englisch, weil technische Neuerungen auf Englisch daherkommen, weil man hip und cool klingt, weil deutsche Ausdrücke angeblich die Bedeutungsvielfalt des Englischen nicht wiedergeben können." Und nu? "Bullshit! Verzeihung: Rotz!" Klingt allerdings auch – überarbeitungsbedürftig.

Unbehauste Fabelwesen auf der Berlinale

Dabei hat die Berlinale inhaltlich eigentlich ganz gut begonnen. Christian Petzold übersetzt in schönen, geheimnisvollen Bildern die Geschichte des Fabelwesens "Undine" ins Heute, "First Cow" – nicht Erste Kuh, au weia! – könnte für einige Kritiker bereits ein Kandidat für den Wettbewerbssieg sein.
"Was bedeutet es für einen Menschen, nirgends hinzugehören?" Diese Frage werfen für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gleich mehrere Filme im Programm auf, sie erzählen von Bindung und Verwurzelung ebenso wie vom Unbehaust-sein, wenn das fehlt. An Filmen fehlt es natürlich nicht, und die Masse kann schon auch erschlagen.

Die Mozart-Mega-Oper

Wie ein Gegenprogramm liest sich da ein Artikel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN. Man kann auch schwer eindampfen. Allerdings mit zweifelhaftem Ergebnis. Jan Brachmann berichtet von einer, nein, drei - oder doch nur einer? – jedenfalls Opernpremiere(n) aus dem Theatre de la Monnaie in Brüssel. Das geht so: Die drei Mozart-Opern "Le nozze di Figaro", "Don Giovanni" und "Cosi van tutte" werden miteinander verfriemelt, gekreuzt und verkuppelt. Ja.
"Ein toller Tag aus drei Perspektiven", meint die FRANKFURTER ALLGEMEINE anfangs noch ganz zuversichtlich. "Video-Einspielungen und figürliche Überschneidungen, musikalische Einsprengsel aus benachbarten Stücken, Aufteilungen von Arien auf verschiedene Figuren verzahnen alle drei Opern miteinander."
Das alles soll überaus bunt und mit viel Drehbühne geschehen, aber langsam schwant dem Leser, dass er womöglich statt allem am Ende gar nichts kriegt:
"In welcher Reihenfolge man die drei Opern sieht, ist völlig belanglos. Man kann sie drehen wie das Bühnenbild. Es werden dabei zwar Beziehungen hergestellt, aber diese Verknüpfungen erklären nichts." Fazit und Überschrift: "Irgendwas mit Unisextoiletten und Homoehe". Klingt nach "Nichts wie weg!" und "Armer Mozart!"...

Fasten mit Erwin Wurm

Dann sich vielleicht doch besser auf dem heimischen Sofa lümmeln? Der TAGESSPIEGEL hat sich die neugestaltete Zeitschrift "Schöner Wohnen" vorgenommen. Ja, die gibt es noch, nicht nur die Redewendung. Frei nach dem Motto "Blättern entspannt besser als scrollen" präsentiert sich das Blatt gehörig aufgehübscht, aber ob das rettet angesichts starker Konkurrenz und wegbröckelnder Leserschaft?
Ein kurzer Blick noch in die TAZ. Die greift vor, erzählt am Rosenmontag schon vom Fasten. Sei's drum, wo es doch für manchen Veedelszöch zu arg stürmt. Im Wiener Stephansdom hängt ein 80-Quadratmeter-Pullover, das Fastentuch des Künstlers Erwin Wurm. "Fasten mit Erwin Wurm" vermeldet die TAZ getreulich "unterm Strich". Der Künstler jedenfalls hat nicht nur fleißig stricken lassen. "Wurm selbst ist, nachdem er irgendwann aus der Kirche ausgetreten war, wieder in die Kirche eingetreten."
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