Aus den Feuilletons

Interview ohne Offenbarung

04:19 Minuten
Sebastian Kurz, ÖVP, in der Hofburg in der Nationalbibliothek in Wien beim Live-Interview für das ZDF heute-Journal am Tag der Nationalratswahl am 29.09.2019 in Wien.
Die Wahl in Österrreich hat die ÖVP mit großem Vorsprung gewonnen. Deren Chef Sebastian Kurz kann sich die Koalitionspartner aussuchen. © www.imago-images.de
Von Hans von Trotha · 30.09.2019
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Österreichs Wahlsieger Sebastian Kurz ließ im ZDF-Interview nicht durchblicken, ob er nochmals mit der rechten Partei FPÖ koalieren will. Die "FAZ" kritisiert, dass ZDF-Moderator Claus Kleber nur auf diese eine Antwort fokussiert war.
Von Personen des öffentlichen Lebens gibt es immer mehrere Versionen. Eine davon kreiert die Nachwelt. Vorher wird eine oft andere vor allem von den Medien bestimmt. Manche Medienvertreter tun sich da besonders hervor und wollen partout ihre Marke hinterlassen, auch wenn wir uns von ihnen wünschen würden – sorry – dass sie einfach informieren.
Nicht zu Unrecht knöpft sich Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Claus Kleber vor, dessen Fragen an den österreichischen Wahlsieger Sebastian Kurz im "heute journal" vom Sonntag den Interviewten zu dem genervten Satz hinreißen ließen: "Vielleicht würden Sie besser wissen, was ich tun sollte, als ich das selbst weiß."

Unverständnis für den ZDF-Nachrichtenchef

"Arroganz und Überheblichkeit, sie haben im deutschen Fernsehen viele Namen", stichelt Hanfeld. "Doch einer sticht immer wieder hervor".
Er meint Claus Kleber, der unbedingt von Kurz hören wollte, dass der nicht mit der FPÖ zusammen geht, und sonst eigentlich gar nichts. Mit der Generalattacke "Funktioniert so Demokratie à la ZDF?" lässt sich Hanfeld die Gelegenheit nicht entgehen, übers Ziel hinaus zu schießen.
Aber mit der Frage "Könnte Kleber nicht wenigstens auf die Idee kommen, dass es für den ÖVP-Chef allein aus taktischen Gründen falsch wäre, die FPÖ wegzukicken, damit er in Gesprächen mit SPÖ und Grünen eine stärkere Position hat?", hat er Recht.

Die "Kronen"-Zeitung revanchiert sich

Genauso wie die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Recht hat, wenn sie einen erst einmal witzigen Coup der Online-Ausgabe der Österreichischen "Kronen"-Zeitung auf ihren ernsten, gefährlichen Kern hin analysiert:
"Wenn du die Krone hast, hast du die Meinungshoheit", sagte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im legendären "Ibiza Video". "Und dann fiel der verhängnisvolle Satz: "Wenn dieses Medium auf einmal uns pusht, dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34 Prozent'."
Die Wirklichkeit hielt dann am Sonntag 17,3 Prozent für die FPÖ bereit.
"Und die Krone versieht das Zitat Straches via Twitter mit fünf Buchstaben: Sorry". Was die SZ als "fein gespielten, vergifteten Gruß" der Krone an einen interpretiert, "mit dem man mal sehr eng war". Nun verkündete das Blatt, es "wolle online bei Flüchtlingsthemen behutsamer berichten".
Die SÜDDEUTSCHE kommentiert: "In Österreich heißt es, gegen die Krone wolle niemand regieren." Und setzt ihrerseits nach: "Sorry!"

Umweltaktivistin ohne Imageproblem

Charlotte Klonk, Professorin für Kunst- und Bildgeschichte, analysiert in der taz "symbolische Bildbedeutungen" in unserer heutigen Welt am Beispiel Greta Thunberg.
"Ihr Erfolg beruht gerade nicht auf dem Einsatz von kalkulierter und inszenierter Bildwirkung, sondern auf einem gesellschaftlichen Generationenkonflikt, dem sie Ausdruck verleiht. Wer also Thunberg zur Ikone oder Symbolfigur stilisiert, der überträgt ins Weltanschauliche, was bei ihr immer nur ein Verweis auf Forschungsergebnisse ist. Zugleich werden damit aber auch die Bilderstürmer auf den Plan gerufen, die sich sofort ans Werk machen, das Heiligenbild zu zerstören. Wo nämlich herkömmliche Erklärungen wie Heilige, Fanatikerin oder naives Mädchen versagen, kommen schnell andere, weniger wohlmeinende Deutungsversuche ins Spiel."
Klonk analysiert "Heiligenverehrung, Nazivergleiche und präpotente Sprüche wie 'Fuck you Greta!'" auf Autoaufklebern.
"Es ist eine verkehrte Welt, in der Erwachsene die einfache Märchenwelt von Gut und Böse, Verführerin und Verführte, Roboter und Mensch bemühen müssen, um das Phänomen Greta Thunberg zu erklären. Greta Thunberg hat kein Imageproblem und genau darin liegt ihr Erfolg."

Wie man in Frankreich unsterblich wird

In der WELT meldet sich Matthias Heine mit einer sehr französischen Variante der Image-Kanonisierung zur Wort, in einer "Fußnote zum Nachruf" auf Jacques Chirac.
"Die offizielle Unsterblichkeit erlangt man in Frankreich, wenn lange nach dem Tode des Betreffenden seine sterblichen Überreste ins Panthéon umgebettet werden. Die inoffizielle Unsterblichkeit erlangt man, wenn man als Figur in einem der klassischen Asterix-Comics verewigt wurde."
Genau das ist Chirac widerfahren, der 1978 "als Caesars junger Berater Technokratus im Band Obelix & Co. KG" auftaucht, wo er nach einem Gespräch mit Obelix für eine "Hinkelsteinüberproduktion" verantwortlich ist.
"Die deutsche Asterix-Übersetzerin Gudrun Penndorf", erzählt Heine weiter, "konnte nicht davon ausgehen, dass irgendjemand hierzulande die Anspielungen auf die französische Elitekaderschmiede ENA verstehen würde. Sie nannte die Lehranstalt, die Technokratus absolviert hatte: 'Freigelassenenschule für Angewandte Zeitkritik' – kurz 'FAZ'."
Das wäre eigentlich auch ein Anlass für ein Sorry. Oder?
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