Aus den Feuilletons

Hongkong im Ohnmachtsstrudel

05:59 Minuten
Eine zerstörte Überwachungskamera nach Protesten in Hong Kong am 22. November 2019.
Für den chinesischen Exilkünstler Badiucao steht fest: "Hongkong kämpft für die Freiheit von China." Nachzulesen im „Tagesspiegel“. © Getty/AsiaPac/Billy H.C. Kwok
Von Ulrike Timm · 23.11.2019
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Die "FAZ" widmete sich der Eskalation in Hongkong und fragte nach dem Punkt, von dem aus sich das Gewirr auflösen ließe. Und schlussfolgerte: Nur eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt könne auf Dauer Vertrauen wiederherstellen.
Einfach futsch, zumindest verschollen. Markus Lüpertz sucht 152 Werke, Anselm Kiefer 87, Renate Graf 103. Und die deutsch-chinesische Sammlerin Maria Chen-Tu sucht sie alle, sie gehören ihr nämlich. Doch sie hat die Kunst einem dubiosen chinesischen Geschäftsmann gegeben, um Ausstellungen zu organisieren, und nun ist die Sammlung weg.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat den Thriller um die Werke zeitgenössischer Künstler, die in China spurlos verschwunden sind, zuerst beschrieben, auf einer kompletten Seite: "Zu besichtigen ist das böse Ende einer Partnerschaft. Auf der einen Seite: die Map Collection, das ist die Sammlung von Maria Chen-Tu. Und auf der anderen Seite die Bell Art GmbH, das ist, nein: das war die Firma von Ma Yue. Inzwischen ist sie liquidiert."
Die STUTTGARTER ZEITUNG beschreibt Herrn Ma als "schlitzohrigen Geschäftsmann und mutmaßlichen Hochstapler, der mit Geschäften von Rohstoffhandel bis Fußmassagesalons in Deutschland zu Geld kommen wollte. Vor einigen Jahren kam er auf die Idee mit der Kunst, schließlich gibt es im Reich der Mitte auf dem noch jungen Kunstmarkt eine extrem wohlhabende Käuferschicht."
Viel spricht für Unterschlagung in ganz großem Stil – Markus Lüpertz flog selbst nach Peking, um womöglich vor Ort etwas Neues über den Verbleib seiner Werke zu erfahren, und kritzelte auf der Pressekonferenz zum Kunstkrimi entnervt vor sich hin. "Es ist ein Weihnachtsengel", meldete die SÜDDEUTSCHE, "durchaus martialisch. Ein Lüpertz in China wenigstens, der nicht verschollen ist."
Aber auch die Sammlerin macht eine merkwürdige Figur, es gibt keinerlei Verträge über den Verleih, alles mündlich geregelt, sozusagen per Handschlag besiegelt wie beim Viehhandel auf dem Ochsenmarkt. Mit einem Unterschied – da gilt's. Warum man Kunst im Wert von 300 Millionen Euro einfach so - ohne Vertrag und Rechnungen – weggibt? Das muss man vielleicht auch nicht verstehen...

Peter Handkes Rechtfertigung

Ewig unverstanden fühlt sich Peter Handke, wenn es um seine Sicht auf Serbien geht. Dass es ihm auch nicht gelungen ist, sich zumindest verständlich zu machen, kann oder will er nicht sehen. In einem großen ZEIT–Gespräch mit Ulrich Greiner formuliert es der umstrittene Literatur-Nobelpreisträger so: "Die literarische Sprache ist die natürliche, sie ist die Sprache des Menschen, des Gefühls, der Vernunft", und später heißt es: "Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur."
Gerrit Bartels bescheinigt Handke "ziemlichen Starrsinn" und kommentiert im TAGESSPIEGEL: "Man könnte es so sagen: Es war nicht Peter Handke, der da in den neunziger Jahren nach Serbien und in den Kosovo gefahren ist. Nein, es ist ein anderes Ich, eben der Erzähler seiner Jugoslawien-Bücher."
Handke versetzt all das, was ihm an konkreter politischer Fragwürdigkeit vorgeworfen wird, in einen poetisch überhöhten Vorstellungsraum. Lustig immerhin, wie er in der ZEIT von seinen Befürchtungen vor der Literaturnobelpreisvergabe spricht: "Ich hatte befürchtet, sie geben den Preis an jemanden, den ich für ein Arschloch halte."

Hongkong: "Es geht nur mit Wirtschaftssanktionen"

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG widmet sich der Eskalation in Hongkong und spricht von einem "Ohnmachtsstrudel", hier gäbe es "keinen von vornherein feststehenden Punkt, von dem her sich das Gewirr auflösen ließe. Allein von einer unabhängigen Untersuchung der Polizeigewalt – einer der Forderungen der Demonstranten, die zudem ganz in der Logik des Hongkonger Justizsystems läge – könnte man erhoffen, dass sie auf Dauer etwas Vertrauen wieder herstellt; natürlich könnten sich dann auch die Aktivisten von einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht ausnehmen", schreibt Mark Siemons.
Der TAGESSPIEGEL spricht mit dem chinesischen Exilkünstler Badiucao über das Tian'anmen-Massaker und über die heutigen Proteste. Für den Cartoon-Zeichner gilt: "Hongkong kämpft für die Freiheit von China." Badiucao hofft wie viele Hongkonger Demonstranten auf den Westen: "Es geht nur mit Wirtschaftssanktionen. Wer Geschäfte mit China macht, muss auf die Menschenrechte beharren, nicht nur wegen Hongkong, auch wegen der Uiguren oder Tibet."

Zum Tod von Gustav Peichl

"Mit Spaß ernst machen", das konnte der Architekt und Karikaturist Gustav Peichl, und unter dieser Überschrift erinnert die FAZ an den Österreicher, der mit 91 Jahren gestorben ist: "Als Architekt war er in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einer der bedeutendsten Vertreter seiner Zunft; als Karikaturist nahm er alles auseinander, was die Gesellschaft seiner Zeit so an Dingen und Undingen produzierte, Architektur eingeschlossen."
"Die Karikatur sei das Ventil, das ihm den Psychiater ersetze", sagte Peichl einmal, das zitiert der SPIEGEL. Vor allem für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG arbeitete Gustav Peichl unter dem Pseudonym "Ironimus". Andrian Kreye und Gerhard Matzig beschreiben in ihrem Nachruf seine fein gezeichneten Kommentare so:
"Da sieht man nicht nur die scharfen Beobachtungen aus dem Politikbetrieb, sondern auch die zarten Seitenblicke auf den Alltag und das Großstadtleben, die mit seinem Stift eine bittersüße Vergeblichkeit bekamen, deren Bewohner sich an einer Moderne abmühten, die er mit seinen Entwürfen so souverän im Griff hatte."
Gustav Peichls Motto galt dem Zeichnen wie dem Bauen und dem Leben sowieso, er hat es sich von Karl Valentin ausgeliehen: "Leicht is' schwer was".
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