Aus den Feuilletons

Hoffentlich hat die Kunst das letzte Wort

04:22 Minuten
Demonstranten in Hongkong halten ein Schild in die Höhe mit dem die lokale Regierung und er chinesische Staatschef Xi Jinping kritisiert werden.
Mit abgewandelten Filmplakaten kritisieren Demonstranten in Hongkong die Politik der chinesischen Regierung. © Imago / Zuma / Geovien So
Von Arno Orzessek · 09.07.2020
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Gute Kunst erprobt manchmal den "zivilen Ungehorsam", schreibt Phillip Meier in der "NZZ" - und hofft, dass sie sich in Hongkong gegen mögliche Repressalien aus Peking zur Wehr setzen wird.
Zunächst: Kulturpolitik. "An diesem Freitag berät der Wissenschaftsrat über die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zur Diskussion steht ihre Auflösung. Aber taugen die Vorschläge? Und wie überwindet man 'strukturelle Überforderung'?", fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Es geht nicht zuletzt um die Zukunft der Museen auf der Berliner Museumsinsel, und der SZ-Autor Jens Bisky schätzt die Lage so ein:
"So wie es ist, darf es in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht bleiben. Das Gutachten [des Wissenschaftsrats] bietet den willkommenen Anlass, seit 1990 anstehende Debatten zu führen. Auch kulturpolitisch, auch in der Hauptstadt, kann man nicht alles haben. Besser wenige, gut arbeitende Einrichtungen als immer neue, die sich bloß von Krise zu Ernstfall retten."

Über den Zustand der Meinungsfreiheit

Debatten gibt es immer – aber werden sie immer frei geführt? Nun, die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG befasst sich mit einem offenen Brief, in dem sich mehr als 150 Intellektuelle auf der Website des amerikanischen "Harper’s Magazine" Luft verschaffen. Darunter Margaret Atwood, Noam Chomsky, Daniel Kehlmann, J. K. Rowling und Salman Rushdie.
Den Inhalt des Briefs erläutert Paul Ingendaay: "Eine 'Atmosphäre von Zensur' breite sich im Kulturleben aus, unliebsame Geister würden öffentlich angeprangert und ausgegrenzt, ganz allgemein gebe es eine 'Tendenz, komplexe politische Fragen in moralische Gewissheiten zu überführen'. Der zweite Teil des Briefs nimmt die existentiellen Folgen für jene in den Blick, die sich mit unpopulären Gedanken ins Freie wagen. Die Erklärung erwähnt […] geschasste Redakteure, gegängelte Forscherinnen, zurückgezogene Bücher, abgesagte Veranstaltungen und spricht von einer 'stickigen Atmosphäre', in der manche […] nichts mehr riskierten, 'weil sie um ihren Lebensunterhalt fürchten müssen, sobald sie vom Konsens abweichen und nicht mit den Wölfen heulen'."
Während der FAZ-Autor Ingendaay recht neutral berichtet, geht Hannes Soltau im Berliner TAGESSPIEGEL klar auf Distanz. "Die Unterzeichner verkennen, dass es bei den Boykotten und Protestaktionen [seit der Ermordung von George Floyd] nicht um 'intolerantes' Niederschreien geht, sondern auch um den lang ersehnten Ausdruck eines Korrektivs, das gefestigte Machtunterschiede zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten aufzeigt."
Protest als "Ausdruck" eines "Korrektivs", das "Machtunterschiede" aufzeigt. Lieber Hannes Soltau, das lässt sich definitiv unverschwurbelter ausdrücken!

Kann Hongkongs Kunst überleben?

"Nun droht das Gift der Selbstzensur", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, hat dabei aber nicht den offenen Brief, sondern Hongkong im Blick. Die Stadt, die von Peking immer stärker gegängelt wird.
Peking selber, meint der NZZ-Autor Philipp Meier, "dürfte […] ein lebendiges Interesse an einem weiterhin florierenden Hongkong haben, zu dessen internationaler Attraktivität wesentlich auch die Kunst beiträgt. Wo aber bezüglich Kunstfreiheit die rote Linie verläuft, werden allein die Machthaber in Festlandchina wissen. Schliesslich jedoch wird die Kunst das letzte Wort haben. An ihr wird sich zeigen, ob Hongkong als internationale Kulturmetropole Asien und der Welt erhalten bleibt. Denn eines ist klar: Gute Kunst sucht bisweilen die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Zeit und erprobt auch einmal den zivilen Ungehorsam."

Die Philosophie des Sommerhits

Sie haben es bemerkt: Heute überwiegt das Seriöse. Und glauben Sie nicht, in der TAGESZEITUNG ginge es frivoler zu. Zwar verlockt die TAZ mit der Überschrift "Songs, die wie Eiswürfel im Glas klimpern" zur Lektüre eines Artikels, der ganz Juli-mäßig das "widersprüchliche Wesen von Sommerhits" untersucht.
Doch dann erklärt Julian Weber, dass der Philosoph Peter Szendy mit Karl Marx im Geiste Hits zu "'musikalischen Gespenstern'" erhebt, die gesellschaftliche Verhältnisse ausdrücken. Und zitiert Szendy wie folgt: "'Was man das musikalische Ich nennen könnte, wäre demnach nichts anderes als die Stimme der Ware, wie sie über sich selbst spricht.'" Bitte schön, knacken Sie jetzt mal diese intellektuelle Nuss!
Wenn Sie damit fertig sind, sehen Sie bestimmt so aus, wie es eine Überschrift in der Tageszeitung DIE WELT beschreibt: "Außen strahlend, innen erleuchtet."
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