Aus den Feuilletons

Hoeneßiade auf dem Bildschirm

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Für das Doku-Drama über Uli Hoeneß wurden angeblich mehr Leute interviewt als Bayern München im Kader hat. © dpa
Von Hans von Trotha · 26.08.2015
In der Kulturpresseschau geht es um ein öffentlich-rechtliches Dokudrama und eine private Komödie über Uli Hoeneß - und die sei "gar nicht so unlustig, wie das Vorhaben befürchten ließ", schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
"Wir leben in keinem posthistorischen Zeitalter, in dem sich nichts mehr ereignen kann oder soll", erklärt der Philosoph Giorgio Agamben im ZEIT-Interview.
"Vielmehr leben wir in einer Zeit, in der alles geschehen kann, in der nichts Geringeres auf dem Spiel steht als die Rekapitulation aller historischen Möglichkeiten des Abendlandes."
Was nach einer Drohung klingt. "Die Zukunft Europas", sagt Agamben, "ist seine Vergangenheit", während in der FAZ der Philosoph Peter Trawny befindet: Europa "sollte aufhören, sich auf eine Vergangenheit zu beziehen, von der die allermeisten nichts mehr wissen."
Wie jetzt? Ja zur Vergangenheit oder Nein?
Da, wo Europa aufhört, also jetzt noch nicht unbedingt zeitlich, aber geographisch, da stellen sie sich solche Fragen nicht. Da lassen sie sich das Erinnern sogar ordentlich was kosten, wenn's der Richtige ist. Süleyman der Prächtige zum Beispiel, 1566 in einem Zelt gestorben. Aber wo? Boris Kàlnoky vermeldet in der WELT:
"Ungarische Forscher glauben den Ort gefunden zu haben, an dem Süleyman der Prächtige starb."
Nun starb mit ihm der ungarische (Fürst) Nikola Zrinyi.
"Süleyman ist der historische Lieblingsherrscher des türkischen Prasidenten Recep Tayyip Erdogan. Ungarns Ministerprasident Viktor Orban hält hingegen viel von Zrinyi. Beide berufen sich in ihren politischen Zukunftsvisionen gerne auf die Helden der Vergangenheit. Die Folge ist eine hochpolitische archäologische Mission."
In Euro ausgedrückt: Jetzt zahlen beide Staaten bei der Grabung um die Wette.
Uli Hoeneß als Filmheld
Unser Süleyman der Prächtige lebt ja noch. Er ist der Held der "Ulissee", woran Nikolaus von Festenberg im TAGESSPIEGEL anlässlich einer anstehenden "Hoeneßiade auf dem Bildschirm" erinnert. Es gibt ein öffentlich-rechtliches Dokudrama und eine private Komödie, von der Ralf Wiegand in der SÜDDEUTSCHEN meint, sie sei "gar nicht so unlustig, wie das Vorhaben befürchten ließ."
"Bis zuletzt gab es Widerstände. Kein Wunder: Es geht um die Deutungshoheit der Person Uli Hoeneß".
Ja, hier wird Geschichte geschrieben und dabei kein Aufwand gescheut. Wiegand stellt fest, dass für das Doku-Drama mehr Leute interviewt wurden als Bayern München im Kader hat.
"Wer fehlt, ist Yanis Varoufakis. Der gibt auch gerne Interviews und ist Experte für Spieltheorie. Er hätte sicher auch noch etwas beitragen können zum Vorhaben des ZDF, Uli Hoeneß zu erklären, um fassbar zu machen, wie dieser so moralische Mann fast seine Existenz verzockt hätte, neben seinem Ruf."
Thomas Thieme, der den Hoeneß in den Dramateilen der Doku gibt, befindet im TAZ-Interview über den von ihm Gespielten:
"Er ist ein Shakespeare-König."
Und in der FAZ stellt Christoph Becker fest:
"Der Angeklagte behält das letzte Wort. Mitgliederversammlung des FC Bayern, Mai 2014, sechs Wochen nach der Verurteilung: 'Und dann, wenn ich zurück bin, werde ich mich nicht zur Ruhe setzen. Das war's noch nicht!'"
"Gender muss vom Sender"
Das war's noch nicht - das ist eine hübsche Überleitung zu Frank Plasberg und zur wohl dümmsten Form der Aufarbeitung von Geschichte: dem sogenannten Reenactment. Die wollen, das scheint jetzt also kein Witz zu sein, eine Folge von Plasberg noch mal machen.
"Gender muss vom Sender" titelt CHRIST UND WELT, "Hart, aber noch mal", die TAZ. Margarethe Storkowski meint:
"Es würde an ein Wunder grenzen, wenn bei diesem Remake irgendwas besser läuft als beim Original."
"Spiel's noch mal, Plasberg!" heißt es in der SÜDDEUTSCHEN und Willi Winkler findet die passendsten Worte:
"172 Tage nach der Ausstrahlung befand der WDR-Rundfunkrat, dass diese Sendung nicht das übliche Stammtisch-Niveau habe, weshalb sie 172 Tage nach der Ausstrahlung aus der Mediathek, in der sie 172 Tage lang nachzusehen war, entfernt wurde. Weil sonst grad recht wenig los ist in der Welt, schlagzeilte es sogleich von 'Zensur' und schlimmschlimmschlimm. Jedenfalls scheint den Verantwortlichen in Köln das Echo dermaßen gefallen zu haben, dass sie es bei der Löschung nicht belassen, sondern einer Empfehlung von Studienrat Dr. Sigmund Freud folgen wollen, der vor hundert Jahren die Lernschritte 'Erinnern, wiederholen und durcharbeiten' empfohlen hatte."
Und als Feuilletonhistoriker vom Tage erinnert Professor Winkler auch noch hieran:
"Hat nicht Immanuel Kant seinerzeit vom Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Labersucht gesprochen?"
Für Kant war Geschichtsschreibung eine Sache der Zukunft. Es gibt Hoffnung.
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