Aus den Feuilletons

Helden-Verehrung für Lemmy Kilmister

Ian "Lemmy" Kilmister, Bassist und Sänger der Band Motörhead
Ian "Lemmy" Kilmister, Bassist und Sänger der Band Motörhead © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Von Arno Orzessek  · 29.12.2015
Musikjournalisten huldigen dem verstorbenen Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister in den Feuilletons. "Welt"-Autor Michael Pilz hat mit gewissen Ehrerbietungs-Formen offenbar Probleme, während sich Dietmar Dath in der "FAZ" als Silben-Rocker betätigt.
Eine Warnung vorab. Für Liebhaber des Gender Mainstreamings und andere Gleichberechtigungs-Aficionados ist diese Presseschau gewiss ein Ausdruck beklagenswertesten Machismos.
Aber! - die interessanten Artikel in den frischen Feuilletons schreiben nun einmal lebendige Männer über tote Männer.
Und weil einer dieser Toten der von vielen Musik-Journalisten bis zum Gehirnschlag verehrte Lemmy Kilmister ist, der Sänger und Gitarrist der britischen Heavy-Metal-Band Motörhead – er starb am vergangenen Montag mit 70 Jahren –, wollen sie natürlich alle superfettes Zeug über ihren Heroen ins Blatt drücken.
Da wäre zum Beispiel Alexander Gorkow von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, der Kilmister dafür abfeiert, mit Motörhead "Heavy Metal als größtmögliche Energiequelle des Rock" etabliert zu haben.
"Klar, da war der alberne Biker-Quatsch, da waren die Nazi-Devotionalien (Huuuh!), da waren die engen, um die Eier angegossenen, nach Bier miefenden Jeans ('Fruchtpressen'). Das roch alles immer noch nach Auf-die-Fresse. Aber was machst du, wenn du 15 bist und die ersten Töne von 'Ace of Spades' hörst? Du wippst mit. Dann trinkst du ein Bier. Du wippst. Du trinkst. Du wippst. Du trinkst. Dann fällst du um. Das Leben kann so prachtvoll sein",
öffnet der SZ-Autor Gorkow sein Schwadronier- und Nähkästchen und erweckt bei uns den Eindruck von Trittbrettfahrer-Coolness und Sekundär-Poserei.
Wie alle Glückspilze, die Kilmister einmal persönlich beim und/oder zum Saufen getroffen haben, erwähnt auch Michael Pilz in der Tageszeitung DIE WELT seine seligmachende Begegnung bei Whisky mit Fruchtsaft - spielt dann aber in dem Artikel "Tschö mit Ö" (Klammer auf: Ö wie Motörhead, Klammer zu) ein eher uncooles Foul gegen sich selbst als Feuilletonisten, indem er festhält:
"(Kilmister) hat es noch erleben müssen, dass das Feuilleton seine natürliche Umgebung wurde."
Pilzens Begründung:
"Zuerst hängte Jürgen Teller Fotos seines Sohnes im pechschwarzen Strampler mit der Aufschrift 'Motörhead' in irgendwelche Galerien. Dann hängten sich Hipster abgelegte Monster-T-Shirts über ihre schmalen Schultern. Schließlich hingen in sauberer Fraktur bedruckte Motörhead-T-Shirts bei Höckl im Ausverkauf. Lemmy wurde zum edlen Wilden und letzten Helden aller, die sich weder seinen Lebenswandel leisten können noch so eine Menschenliebe."
So der WELT-Autor Michael Pilz, der mit den Kilmister-Verehrungs-Formen anderer Leute offenbar gewisse Probleme hat und dabei nicht großherzig klingt.
Okay, einen haben wir noch. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fantasiert der Silben-Rocker Dietmar Dath:
"Vom antiken Rhetor Demosthenes heißt es, er habe mit Kieselsteinen im Mund geübt, bei Lemmy müssen es glühende Kohlen gewesen sein. Wer ihn freilich als bloß röhrende Turbine verkennt (…), weiß nichts davon, dass Lemmys bedeutendes Organ (…) klingen kann wie der wehmütige Wind der Ewigkeit, der mit tausend Tabakblättern raschelt, während ein Nieselregen aus Bourbon hochprozentige Himmelstränen weint."
20 Jahre nach dem Tod des Dramatikers Heiner Müller
Ein hübsches Ding, dieser Dathsche Buchstaben-Riff, oder? Nicht ganz so abgedreht artikuliert sich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Tom Schulz, während er 20 Jahre nach dem Tod des Dramatikers Heiner Müller über das Fortleben des Müllerschen Werks nachdenkt.
Genauer gesagt – und um gerecht zu sein: Der NZZ-Autor Schulz verstrickt sich in seiner Bildsprache. Und das klingt dann so:
"Etliche von Müllers Texten atmen noch. (…) Sie sind Sperrgüter und grobe Pfeiler, sie ragen aus dem Einerlei der Gegenwartsliteratur heraus. Sie zucken und bewegen sich, arbeiten weiter wie Holz und Treibsand."
Atmende Texte wie grobe Pfeiler, die sich bewegen wie Treibsand – oha!
Die wissenschaftliche Neu-Edition von "Mein Kampf"
Auch kein brillanter Autor war: Adolf Hitler. In der FAZ berichtet Patrick Bahners über die wissenschaftliche Neu-Edition von "Mein Kampf", die im neuen Jahr mit sage und schreibe 3500 Fußnoten erscheinen wird, und beginnt mit dem Seufzer:
"Wenn das der Führer wüsste."
Aber lesen Sie bitte selbst.
Wir sagen nur noch mit besagter WELT-Überschrift: "Tschö mit Ö".
Und: Rest in peace, Lemmy!
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