Aus den Feuilletons

Geschwisterliches Nichtstreben im Väter*innenland

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August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ist vor allem mit seinem "Lied der Deutschen", der späteren Deutschen Nationalhymne, in die Geschichte eingegangen.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb seinen Text zur späteren deutschen Hymne, als Grenzen und nationale Identität in Europa wichtig waren. © dpa
Von Adelheid Wedel · 09.05.2019
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Die vom thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow angestoßene Debatte um die deutsche Nationalhymne beschäftigt die "Welt": Sie prüft den Text auf Herz und Nieren. Ihr ironisches Fazit: Der Text ist nicht gendergerecht und muss modernisiert werden.
Es ist ja nicht nur irgendein Lied – die deutsche Nationalhymne. Jetzt ist ein Streit um sie entfacht. Die Tageszeitung DIE WELT nimmt das ernst. Auf Seite 21 unterzieht sie den Text, bekanntlich einst von Hoffmann von Fallersleben erdacht, einer gründlichen Prüfung. Anlass dazu gab der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, der – so die WELT – "den Finger in eine Wunde gelegt hat".

Wer will schon ein Streber sein?

Dieser Text, sagt er, "passe nicht mehr in die Gegenwart. Viele könnten sich mit ihm nicht mehr identifizieren." Was nun die Redaktion dazu herausfindet, liest sich teilweise urkomisch, zum Beispiel: Das Wort "Vaterland müsste dringend um Mutterland ergänzt werden – oder besser genderneutral: Väter*innenland" heißen.
Das Wort "streben" wird als durch und durch unsympathisches Verb definiert und kommentiert: "Wenn überhaupt, sollten wir alle danach streben, weniger Streber zu sein." Auch gegen das Wort "brüderlich" gibt es Widerstand. Der Änderungsvorschlag lautet "geschwisterlich", das sei "treffend und zeitgemäß".
So weit die Beispiele aus einer Vielzahl von Anmerkungen. Auf Seite 3 im selben Blatt äußert sich Ulf Poschardt zum Thema: "Die Hymne sollte nicht Teil eines Wahlkampfes sein. 70 Jahre bundesrepublikanischer Freiheitlichkeit sind eine schöne Tradition."

"Die Deutschen mögen ihre Nationalhymne nicht"

Im TAGESSPIEGEL empört sich Kai Müller: An der Nationalhymne herumdoktern zu wollen, sei eine komische Idee. Er behauptet:
"Die Deutschen mögen ihre Nationalhymne nicht." Das sei wenig überraschend, "sie mögen ja vor allem sich selbst nicht." Er wirft eine Frage auf, die zu bedenken wäre: "Wie sehr bedarf es einer nationalen Hymne überhaupt noch? Wenn sich Grenzen auflösen, Identitäten verschwimmen, Kulturräume ineinander aufgehen und individuelle Freiheiten so weit gehen, dass der Staat immer mehr Macht verliert?"

Religion wissenschaftlich betrachtet

Eine Konferenz an der Frankfurter Goethe-Universität hatte schon vor Beginn für Aufsehen gesorgt. Nun hat sie trotz Boykottversuchen und verbaler Angriffe gegen die Organisatorin Susanne Schröter stattgefunden. In der WELT meint Cigdem Toprak:
"Das Frankfurter Treffen hat eine enorme gesellschaftliche Bedeutung. Der Versuch, jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem Islam zu ersticken und sich gegen einen demokratischen Dialog zu stellen, ist gescheitert. Die Konferenz hat die Sorgen, Probleme und Konflikte um das Kopftuch eindrucksvoll in einen wissenschaftlich-kritischen Rahmen gebracht."
Und auch Thomas Thiel lobt in der FRANKFURTR ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Die Kopftuch-Konferenz markiert einen Wendepunkt", auch wenn sie "eine intellektuelle Minderheitenveranstaltung" war. Aber dieser Ortstermin am Forschungszentrum Globaler Islam stimmte dennoch zuversichtlich – "ein Markstein bei der Rückbesinnung der Universitäten auf ihre intellektuellen Prinzipien."

Talkshow für Randgruppen

Optimistisch stimmt auch der Bericht von Jaqueline Lang in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über eine Onlinetalkshow auf Youtube für Menschen mit Migrationshintergrund. "Kein Geld, aber eine Vision" heißt es im Text, der Esra Karakaya und ihr Vorhaben vorstellt:
"Sie will jenen eine Bühne geben, die in der Gesellschaft sonst verschwinden", sagt sie. Namhafte Experten oder Prominente könne sie für ihren Black Rock Talk nicht einladen, dafür fehle das Budget. Sie lädt stattdessen Menschen aus ihrem erweiterten Freundeskreis ein. Einer Ihrer Wünsche dabei: "dass eine Frau mit Hijab irgendwann als normal empfunden wird."

Ost-Berlin als Mythos

Im TAGESSPIEGEL informiert Gunda Barthels über eine Sommerausstellung im Berliner Ephraim-Palais, die an diesem Wochenende eröffnet wird. "Sie beleuchtet den Mythos Ost-Berlin als Machtzentrum des SED-Regimes und als Schaufenster des gescheiterten Sozialismus. Sein und Schein, offizielle Inszenierung und alltägliche Realität – das ist eine gewollte ständige Reibung in der Schau", die vom Historiker Jürgen Daniel kuratiert wurde.
Der stellvertretende Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam zeigt sich "überrascht, vom positiven Wind, mit dem das Ost-Berlin-Projekt aufgenommen wurde." Fazit im TAGESSPIEGEL: "Berlin, Hauptstadt der DDR, ist für viele Widersprüche gut."
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