Aus den Feuilletons

Geschichtsblinde Beethovenkritik

04:18 Minuten
Die Bonner Statue Beethovens in Rückenansicht, die scheinbar auf die Türme des Bonner Münsters schaut.
"Mit den Waffen der Cancel Culture" gegen Beethoven: Elmar Krekeler verteidigt den Komponisten in der "Welt" gegen Vorwürfe zweier US-Journalisten. © mago images / JOKER / Karl-Heinz Hick
Von Tobias Wenzel · 17.09.2020
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Beethoven müsse vom Sockel, er stehe für weißen Elitismus, schreiben zwei US-Journalisten. "Moralische Überheblichkeit der Ahnungslosen", empört sich die "Welt". Beethovens Fünfte stehe nicht für Elitismus, sondern für den Kampf gegen Denkverbote.
Ums Loswerden kreisen die Feuilletons vom Freitag, ums Loswerden-Wollen und Loswerden-Müssen.
Wie wird man die rechtsextremistischen Auswüchse in der deutschen Polizei los? Die Grünen hätten ein Frühwarnsystem angeregt, schreibt der Satiriker Hans Zippert in der WELT und nutzt die Steilvorlage so: "Ist es bereits ein verdächtiges Zeichen, wenn jemand ein Schwarz-Weiß-Bild von Horst Seehofer in seiner Dienststelle aufhängt? Vor allem, wenn Seehofer sich gar nicht ähnlich sieht und einen markanten Oberlippenbart trägt?"

Keine Versöhnung mit Netanjahu

Ob der israelische Schriftsteller David Grossman das wohl komisch findet? "Sind wir Knetmasse, die sich jede Manipulation gefallen lässt?", fragt er in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit Blick auf die Israelis.
"Flexibles, weiches Material, aus dem sich die pseudodemokratische Diktatur formen lässt, die Netanjahu sich zurechtbastelt?" Grossman zeichnet das Bild eines Ministerpräsidenten, der nie zuhört, unaufrichtig ist und "unfähig, Versöhnung dort zu bewirken, wo Israel ihrer verzweifelt" harre.
Woche für Woche würden die Demonstranten, zu denen er, Grossman, selbst zähle, vor Netanjahus Privatanwesen und auf Autobahnbrücken gegen den Ministerpräsidenten mobil machen. Mit dem Ziel, ihn endlich loszuwerden. Sie würden ihm nämlich zurufen: "Zieh aus aus unserem Leben und geh deines Wegs."

Kunstverkauf als Chance in der Krise

"Die Kunst des Entsammelns" lautet die Überschrift eines Artikels im Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Jörg Häntzschel erklärt, was "entsammeln" überhaupt bedeutet. Nämlich: einen Teil der Sammlung loswerden. In diesem Fall loswerden müssen.
Denn in der Coronakrise wissen einige Museen, die sich besonders durch Eintrittsgelder finanzieren, nicht mehr, wie sie ihre laufenden Kosten begleichen sollen. Das Brooklyn Museum of Art lasse deshalb nun zwölf Kunstwerke, auch von Lucas Cranach dem Älteren, versteigern. Diese besonders in den USA zu beobachtenden Notverkäufe entbehrten nicht einer bitteren Ironie, schreibt Häntzschel weiter in der SZ:
"Seit langem klagen die Museen, sie könnten angesichts des Kunstmarkt-Booms der letzten 20 Jahre immer schwerer Neues kaufen. Nun, in der Krise, machen es die hohen Preise immer schwerer, nichts zu verkaufen."

Beethoven vom Sockel holen?

Mit "Waffen der Cancel Culture" würden gerade zwei US-amerikanische Journalisten, Nate Sloane und Charlie Harding, versuchen, Beethoven vom Sockel zu stoßen, am liebsten ihn ganz loszuwerden, empört sich Elmar Krekeler in der WELT. Schlimm sei, dass sich die leeren Behauptungen der beiden rasend schnell im Internet verbreitet hätten. Zum Beispiel die, Beethoven als weißer Komponist und vor allem seine fünfte Sinfonie stünden für Exklusion und Elitismus der weißen Kultur.
Die Exklusion lasse sich zum Beispiel an Regeln wie "nicht husten, nicht schnarchen, klatschen erst, wenn es vorbei ist" ablesen. Krekeler antwortet nun mit, wie er es selbst formuliert, einer "Polemik gegen die moralische Überheblichkeit der Ahnungslosen".
Mehrfach sorgt sich Krekeler beim Schreiben des Textes um seine eigene Gesundheit, seinen Blutdruck, so sehr bringen ihn seine beiden US-amerikanischen Kollegen in Rage. Die Benimmregeln im klassischen Konzert zeugten nicht von Exklusion, sondern von Respekt.
Und in Beethovens Fünfter entdeckt Krekeler einen "Kampf des Individuums gegen finstere Mächte und eine Aufforderung zum Tanz einer Revolution gegen alle Obrigkeiten und Denkverbote. Eigentlich wie geschaffen für die geschichtsvergessenen, geschichtsblinden Scharfrichter und Denkmalstürzer von heute."
Um das zu erkennen, müssten sie eigentlich nur "ihre heißgelaufene Ideologiezentrale (vulgo: Gehirn) ein paar Diskursgrade herunterkühlen. Und Beethoven hören". Das, so Elmar Krekeler in der WELT, schade eigentlich nie.
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