Aus den Feuilletons

Genitiv oder Dativ - eine unendliche Diskussion

04:19 Minuten
Eine alte Schulbank, auf der eine Karteikarte klebt. Auf der Karteikarte steht "Aller Anfang ist schwer", dabei sind mehrere Schreibfehler korrigiert. Darunter steht "Viel Erfolg" und "Schule macht Spaß".
Im Bemühen um richtige Grammatik gebe es oft mehrere Lösungen - die Zweifelsfälle führten zu unfruchtbaren Debatten, schreibt Peter Eisenberg in der "FAZ". © imago images / imagebroker
Von Ulrike Timm · 13.01.2020
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In der immer wiederkehrenden Diskussion um den Verfall der deutschen Sprache erläutert die "FAZ", dass der Dativ älter als der Genitiv ist. Trotzdem verwendeten viele Menschen lieber den Genitiv - ein Konflikt, der keine Lösung habe.
"Ein Genie müsste man sein" stoßseufzert Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung. Schließlich reibt uns das noch junge Jahr 2020 deutlich unter die Nase, was alles möglich ist. Beethoven! Hölderlin! Hegel! Jahrhundertgenies eben.
"Sie sind es zu Recht", meint Jandl in der NZZ, "denn Genies arbeiten viel. Schon frühmorgens brennt an ihren Schreibtischen Licht. Sie komponieren gleich einmal zwanzig Motetten in ihr Heft oder finden die Formel für die Hyperbolgravitation transkonstruktiver Heptaeder im nichteuklidischen Raum. Einige haben auch noch Familie oder einen richtigen Job. Der Philosoph Baruch Spinoza war Linsenschleifer, der Mathematiker Carl Friedrich Gauss hat früh im Laden seines Vaters angefangen. Schon mit zwei hat er dort die Lohnabrechnungen korrigiert."
Der Autor der NZZ bekennt in seiner Glosse betrübt, dass es für ihn selbst nur für einen der hintersten Ränge auf der Genieskala langt, und macht sich Gedanken, wie man es wenigstens zum verkannten Genie bringen könnte, um ein wenig Glanz abzukriegen. Hoffnungsvolles Fazit: "Genie kann man übrigens auch auf dem zweiten Bildungsweg werden." Wie das geht, das lesen sie besser selbst, es ist kompliziert und funktioniert nur über eine große Familie.

Eliteschüler mit Hirn und Muskeln

Der zweite Bildungsweg? Keine Option im Brighton College, der derzeit renommiertesten britischen Privatschule. Von hier aus geht die Reise nach Oxford oder Cambridge. Eine volle Seite widmet die WELT der Renommierschule an der südenglischen Küste, halb bewundernd, halb abgestoßen vom harten Wettbewerbsgeist, der die Eliteschule auszeichnet. Das Augenmerk von Autor Marcus Woeller gilt aber vor allem der Architektur. Strenges Wirtschaften mit Studiengebühren und Spendengeldern ermöglichte einen spektakulären Neubau nach dem anderen. "Hogwarts aus Glas und Stahl", so die WELT. Neuester Clou ist die School of Science and Sport – "Die Schüler streiten noch, ob sie das Haus Walross oder Krokodil taufen wollen" –, die Räume für die Naturwissenschaften liegen in unmittelbarer Nähe von Kraftraum und Schwimmbad. "Selten wurden Muskel- und Gehirnzellen so nah beieinander gereizt wie in diesem Schulgebäude."
Ob die spektakuläre Architektur wie die spektakuläre Ausstattung zu spektakulärem Preis nun direkt in die Genieausbildung mündet?

Keine Sorge um den Dativ

Wir lassen das offen und wenden uns der deutschen Sprache zu. Die verändert sich ständig, was oftmals als "Verfall" deklariert wird. Das reizt den Professor Emeritus Peter Eisenberg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu einer Replik, die es in sich hat.
"Ein Kasus ist kein Killer" – das leuchtet noch ein, aber dann geht es in gnadenlos linguistischer Wühlarbeit durchs Reich von Passivformen, Präpositionen, Adverbien, Dativ und Genitiv, dass einem schwindelig wird. Und nu? Ist der vielbeschworene Genitiv wirklich das bessere Deutsch? Der Professor in der FAZ meint:
"Für viele Sprecher und Sprecherinnen ist trotz des Regens besser als trotz dem Regen. Der Dativ ist jedoch älter als der Genitiv, wir haben ja sogar noch das Adverb trotzdem. Soziologen sprechen in einem solchen Fall von Zielkonflikt: beide Lösungen sind motiviert und führen zwangsläufig zu Zweifelsfällen mit der Folge unfruchtbarer Debatten." Aha.
Will sagen, viele Diskussionen um das beste oder auch bloß richtige Deutsch führen zu Normproblemen, die wir ohne all die Aufregung um den angeblichen Verfall der Sprache gar nicht hätten. Das beruhigt doch wieder. Den Text dazu, der einiges an Durchhaltevermögen und Toleranz – in nahezu jeder Zeile eine Klammer! –, aber kein Genie voraussetzt, den finden Sie in der FAZ.

Ausgestellte Grenzüberschreitungen

Und damit noch ein Blick in die TAZ. Ob nun Richtigdeutsch oder Sprachverfallsdeutsch, diese Überschrift hat uns gefallen: "Wenn Grenzschützerschweine die Schweinegrenze schützen". Es geht um eine ziemlich abgefahrene Ausstellung an der deutsch-dänischen Grenze, die Grenzüberschreitungen in jeder Form zum Thema hat. Notfalls kommt man auch mit schwer lahmenden Götterbotenfüßen drüber.
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