Aus den Feuilletons

"Genies durften brüllen"

Laut brüllend zeigt dieser afrikanische Löwer sein Gebiß in der Harnass Wildlife Foundation.
Der Starkult um Regisseure fördere ungebührliches Verhalten am Set, findet DER SPIEGEL. © Matthias Tödt, dpa
Von Gregor Sander · 04.01.2018
Unterscheidet sich die hiesige Unterhaltungsindustrie von der US-amerikanischen, fragt die FAZ in Bezug auf die aktuelle Missbrauchsdebatte. DER SPIEGEL und DIE WELT haben Antworten. TAZ und SZ würdigen den verstorbenen Schriftsteller Aharon Appelfeld.
"Die #MeToo-Debatte ist in Deutschland angekommen", stellt Verena Luecken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fest. Für sie sei die Frage seit dem Weinstein-Skandal nur gewesen:
"Wann geht es bei uns los? Oder unterscheiden sich die Verhältnisse im Unterhaltungsgeschäft hier, gestützt weniger auf individuelle Machtpositionen als auf Fördergremien und regional agierende und überregional und international koproduzierende Redaktionsbüros, so grundsätzlich von denen in den Vereinigten Staaten?"

Genies durften brüllen

Die vom ZEIT-Magazin veröffentlichten Missbrauchsvorwürfe von mehreren Schauspielerinnen gegen den Regisseur Dieter Wedel lassen anderes vermuten, auch wenn noch nichts bewiesen ist. Nils Minkmar vom Wochenmagazin DER SPIEGEL sieht die Fehler durchaus auch in den eigenen Reihen:

"Theater, Film, Fernsehen und auch Magazine wie der SPIEGEL pflegten über Jahrzehnte einen Geniekult, der wenigen Männern ein Reservat unumschränkter Herrschaft garantierte. Mochte der Rest der Gesellschaft mit immer mehr Kontrollinstanzen, Regeln, Gesetzen und im Team nach kollegialen Prinzipien funktionieren – am Set, auf der Bühne und in Redaktionen kam das Licht vom begnadeten Mann, da durfte noch gebrüllt werden."

Die Strukturen sind die Ursache

Barbara Rohm, Regisseurin und Sprecherin von Pro Quote Regie, einem Zusammenschluss deutscher Regisseurinnen, erklärt in der TAZ, warum sie die Debatte gleich wieder vom Namen Dieter Wedel lösen möchte, egal ob schuldig oder unschuldig, denn:
"Wenn wir uns an den Einzelfällen aufhalten, verlieren wir die Strukturen aus dem Blick, die den Missbrauch begünstigen."

In diesen Strukturen hätten eben immer noch überwiegend Männer die Macht. Die Schauspielerin Sharon Stone möchte mit der Debatte auch viel früher ansetzen:
"Ich bin mir nicht sicher, ob die Presse der richtige Ort dafür ist. Was ich damit sagen will, ist: Man sollte in den Schulen und Universitäten darüber reden, also da, wo Jugendliche ausgebildet werden. Und dort müssen wir ihnen beibringen, was richtig ist und was nicht", so Stone in der Tageszeitung DIE WELT.

Über den Holocaust schreiben war unerwünscht

"Er hätte den Nobelpreis verdient gehabt", bekundet Katharina Granzin in der TAZ und meint den am Donnerstag in Jerusalem gestorbenen Aharon Appelfeld. Bekommen hat er ihn nicht. Das kann auch daran liegen, dass aus seinem über vierzig Romane umfassenden Werk kaum etwas ins Schwedische übertragen wurde. "Auch in Deutschland ist dieser einzigartige Autor bei Weitem nicht so bekannt, wie es ihm gebührt hätte", so Granzin.
Appelfeld wurde 1932 in der Bukowina geboren. Sechs Jahre später wurde seine Mutter neben ihm erschossen und er mit dem Vater ins Konzertrationslager gebracht. Er konnte fliehen und verbrachte seine Kinderjahre versteckt und als Küchenjunge bei der Roten Armee. Geschrieben hat Appelfeld seine Bücher im erlernten Hebräisch. Den Holocaust als literarisches Thema musste Appelfeld abschwächen, zitiert Thorsten Schmitz den Autor in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Als Schriftsteller müsse er sein 'Vorstellungsvermögen zurückschrauben'. Wenn er sich nur an die Fakten des Holocaust halten würde, ergänzte er, 'würde mir das doch keiner glauben'".

CHARLIE HEBDO geht es schlecht

Am Sonntag jährt sich das Attentat auf die französische Satirezeitschrift CHARLIE HEBDO zum dritten Mal und Jürg Altwegg dokumentiert in der FAZ eine resignierte Bilanz der Redaktion. 2016 sei der Umsatz auf zwanzig, der Gewinn auf 2,4 Millionen Euro, die Zahl der Abonnenten auf 50000 gefallen – diese Tendenz hat sich 2017 zweifellos verstärkt. Schon für Anwälte und Therapeuten sei im Redaktionshaushalt eine Million ausgewiesen. In einem offenen Brief rechnet der neue Herausgeber Riss dem Präsidenten vor, dass die Redaktion im letzten Jahr allein 1,5 Millionen Euro für ihre Sicherheit ausgeben musste.

"Ist es der Republik würdig, dass wir eine private Polizei bezahlen müssen", fragt Riss und Macron könnte ihm tatsächlich antworten. Er nimmt am Sonntag an der Gedenkfeier zum dritten Jahrestag des Attentats in Paris teil.
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