Aus den Feuilletons

Fußball als sehr ernstes Thema

Polizisten am Eingang zur Fanzone in Lyon
Fanzone Lyon: Die Sicherheitsvorkehrungen sind bei der Fußball-EM 2016 besonders hoch. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Adelheid Wedel · 11.06.2016
Frankreich und die Fußball-EM bestimmten die Feuilletons der Woche. Mit großem Ernst nimmt der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint das Thema in der "FAS" auf – aus dem Blickwinkel einer brutalen Welt. Sonst überwiegen die fröhlichen Aspekte.
"Die Brutalität der Welt bedroht den Fußball der Träume. Erleben wir das Ende einer Epoche?"
Mit großem Ernst nimmt der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG das derzeit so viele Menschen beschäftigende Thema Fußball auf.
"Die Fußball-EM in Frankreich versprach, das letzte unschuldige Vergnügen zu werden. Doch mittlerweile fühlt es sich fast an wie im Krieg",
setzt er seine Überlegungen fort. Mittlerweile sprechen viele Menschen nach den Anschlägen in Frankreich und kürzlich in Belgien vom Krieg der Zivilisationen. Diese Einordnung lehnt der Autor ab, und nennt als Beweis dafür,
"dass die Fußballeuropameisterschaft 2016 abgesagt worden wäre, wenn wir uns tatsächlich im Krieg befänden."
Fußballweltmeisterschaften wurden in der Geschichte nur zweimal abgesagt, nämlich 1942 und 1946.

Ein Klima der Irrationalität

"Aber auch wenn wir heute nicht am Beginn eines Krieges stehen",
fragt der Autor,
"ob wir nicht eine Zeitstimmung, ein Klima der Irrationalität ausmachen können, die beiden Zeiten gemeinsam wären. Gibt es nicht gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Atmosphäre, die 1939 in Frankreich herrschte und jener, die man heute in Paris beobachten kann? Gibt es nicht einen deutlichen Gegensatz zwischen der Unbekümmertheit, die man auf der Straße spürt ... und der ungreifbaren, unsichtbaren Bedrohung, die in der Luft liegt und heute Terrorismus heißt? Könnte es sein, dass hier wieder einmal eine äußere – dunkle, gewalttätige und tragische – Realität den unbekümmerten Gang unseres Lebens zerstört? Kann es sein, dass der wunderbare Fußball, dem ich nur Glück wünsche, der Fußball der Träume und der Kindheit, bedroht ist von der Brutalität der Welt?"
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Der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint© AFP / JEAN-PIERRE MULLER
Gedanken, nachzulesen in der FAS, die sich allerdings die Fußballfans, seit Freitag wieder ganz in ihrem Element, vermutlich am wenigsten machen.

Die Fröhlichkeit triumphiert

In den Medien triumphiert ansonsten eher der fröhliche Dreiklang:
"Festspiele, Fußball und Freundschaft."
So jedenfalls ordnet der TAGESSPIEGEL vom Sonntag die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci ein, die noch bis zum 26. Juni dauern. Ulrich Amling berichtet vom Festival, das sich in diesem Jahr
"der reichen, hierzulande immer noch viel zu wenig bekannten Musikwelt unserer Nachbarn aus dem 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart widmet."
Der französische Philosoph Voltaire stand mit seinem "Traktat über die Toleranz" Pate am Eröffnungsabend an diesem Freitag. Dieser Text hatte sich nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" zu einem Bestseller in Frankreich entwickelt, auch
"weil der Philosoph schmerzhaft aktuelle Fragen stellt: 'Was soll man einem Menschen antworten, der sagt, dass er lieber Gott als den Menschen gehorchen will und dass er, als Konsequenz, sicher ist, den Himmel zu verdienen, wenn er sie umbringt.' Für Voltaire gibt es darauf nur die Antwort, sich jedem religiösen Fanatismus radikal entgegenzustellen."

Die Philosophie muss weichen

"Wo das Geld über den Fußball siegt, muss auch die Philosophie weichen,"
verkündet Dirk Schümer in der WELT AM SONNTAG. Er fährt fort:
"Das Spiel kann eben nicht besser sein als die Gesellschaft, die es spielt. Kleptokraten und Oligarchen, Diktatoren und Demagogen haben immer ihre Hände an den Ball gebracht – von Mussolini über Abramowitsch bis zu den Scheichs von Katar. Erst jetzt aber hat der Fußball die Gesellschaft total durchdrungen. Er hat alle gewonnen, um alles zu verlieren ... Wenn das Spielfeld keinerlei Draußen mehr kennt, wenn Macht und Geld und Medien die Regeln ohne jede Scham bestimmen, dann ist es auch kein befreiender Akt mehr, sich das Fantrikot überzustreifen. Fußball über alles wird ein totalitäres Vergnügen."
Mit einem Kafka-Zitat endet Schümer seinen, wie er es selbst nennt, "melancholischen Abschied."

Peter Bachér bedankt sich

"Auf Wiedersehen!"
ruft Peter Bachér seinen Lesern in der WELT AM SONNTAG zu und verbschiedet sich und seine Kolumne "Heute ist Sonntag". Kurz vor seinem 90. Geburtstag bedankt er sich bei seinen Lesern, die ihm,
"ihre Treue bewiesen und in vielen Briefen bestätigt haben."
Seit April 1988, also rund drei Jahrzehnte lang, hat Peter Bachér diesen Platz in der Wochenzeitung besetzt. Kein alltägliches Jubiläum.
Der Fußball lässt die Medien und damit uns immer noch nicht los.
"Warum gehen die Menschen zum Fußballgucken auf Fanmeilen?"
fragt Johannes Willms in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG und beantwortet es so:
"Das Phänomen der Fanmeile macht Mitteilung von einem Erlebnishunger, der nicht, was sonst angeblich im Trend liegt, auf individuelle Befriedigung oder auf Ausdifferenzierung von Lebensstilen erpicht ist, sondern im Gegenteil seine Erfüllung in einem Konformismus findet. Der verschwenderische Gebrauch der Nationalfarben bei Kleidung oder Gesichtsbemalung ist dafür ein Beispiel."
In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Beispiele und Anweisungen, wie man mit den nationalen Farben umgehen kann, wie und wo sie sich anbringen lassen. Nicht alles ist bierernst gemeint.

Wenn Journalisten sich fürchten

Mit diesem lockeren Umgang mit nationalen Symbolen hätten türkische Behörden gewiss Schwierigkeiten. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom Donnerstag brachte ein Gespräch mit Can Dündar, dem Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet". Er hat über einen Waffenhandel des türkischen Geheimdienstes berichtet und soll dafür ins Gefängnis. Er sagt:
"Unter diesen Bedingungen können wir kaum arbeiten. Ein Damoklesschwert hängt über uns. Zensur, Selbstzensur, Drohungen, Gerichtsverfahren, Angriffe – das sind in der Summe Wolken der Furcht, die über dem Land hängen ... Das Gericht gab mir meinen Pass zurück. Sie wollen wohl, dass ich gehe ... Ich bleibe aber und kämpfe. Das ist unser Land, und ich will nicht, dass es eine Diktatur wird."
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