Aus den Feuilletons

Für ein Ende der Fortpflanzung

Anti-Baby-Pillen
Der Pillenknick in den 60ern war ganz im Sinne eines Antinatalisten wie Théophile de Giraud, der sich in der "SZ" zu Wort meldet. © dpa / Ralf Hirschberger
Von Arno Orzessek  · 30.06.2018
In den Feuilletons ging es um Leidenschaften: Die "SZ" ließ einen Antinatalisten zu Wort kommen, die "NZZ" widmete sich dem "Trollozän", die "FAZ" alten Männern und in der "SZ"wiederum bekundete Margarethe von Trotta Mitleid mit dem anderen Geschlecht.
"Ihr seid furchtbar, also mehret euch nicht!", betitelte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in ihrer Serie "Das Anthropozän" einen Bericht über den belgischen Antinatalisten Théophile de Giraud. Antinatalisten, ums kurz zu erklären, fordern das Ende der Fortpflanzung. Und zwar, weil das größte Problem unseres Planeten die Menge der Menschen sein soll. Eine These, die wir persönlich plausibel finden. Der SZ-Autor Alex Rühle unterstrich, man bemerke im Gespräch mit de Giraud, "wie viel Feindseligkeit und argumentative Bräsigkeit ihm schon entgegengeschlagen sein muss."
Deshalb stellte Rühle klar: "Nein, de Giraud ist nicht dafür, dass auch nur ein lebender Mensch umgebracht wird. Nein, er will sich auch nicht umbringen und findet Selbstmord nicht die richtige Antwort auf den Schmerz des Daseins. Wenn man schon mal da ist, ist das Leben auch zu leben. Es geht ihm um die, die nie da gewesen sind. Ihnen ist, auch ohne apokalyptisches Umweltszenario, das Leid, das Dasein prinzipiell bedeutet, zu ersparen."

Eltern machen sich an ihren Kindern schuldig

Tja, liebe junge Eltern! De Giraud wird wohl kaum Ihr liebster Hausautor. Hieß es doch weiter in der SZ: "Apropos Elternschaft. Niemand sei seinen Eltern irgendetwas schuldig, sagt de Giraud, im Gegenteil, Eltern machten sich ihrem Kind gegenüber immer schuldig, indem sie es ungefragt ins Leben katapultieren." So viel aus der SZ-Serie "Das Anthropozän".

"Der Mensch erscheint im Trollozän", titelte – vermutlich in einem ironischen Reflex auf die Dauerpräsenz des Begriffs "Anthropozän" – die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Adrian Daub, Literaturwissenschaftler in Standford, untersuchte den Typus Troll. Für die letzten Netz-Abstinenzler unter uns: Trolls sind Tunichtgute, die nur Unflat und Provokationen posten.
Der Hashtag «#Hass» ist auf einem Bildschirm eines Computers zu sehen.
Das Internet ist die Spielwiese der Trolls. Sie spielen damit, ihrem Gegenüber zu suggerieren, sie seien feindselig oder begriffsstutzig. Ob sie es wirklich sind, bleibt im Dunklen.© dpa/ picture-alliance/ Lukas Schulze

Spirale der Troll-Eskalation

"Es ist wirklich so: Für jede Unsäglichkeit findet sich jemand, der sie sagt. Der Troll bezieht seinen Kitzel daraus, das im Moment absolut Übelste zu twittern, was natürlich zugleich bedeutet, dass das neue Übelste immer erst noch erfunden werden muss. Die Spirale der Eskalation funktioniert perfekt. Deswegen ist Trolling so schwer einzuordnen. Wer in den Netzwerken mit einer minimalen Seriosität unterwegs ist, muss sich immer wieder fragen: Werde ich gerade getrollt, oder ist diese Person wirklich so gemein, unaufmerksam, gutgläubig, uninformiert oder begriffsstutzig?", so Adrian Daub in der NZZ.
Sir Simon Rattle nach seinem letzten Konzert als Chefdirigent in der Berliner Philharmonie
Großer Applaus für Sir Simon Rattle nach seinem letzten Konzert in der Berliner Philharmonie© picture alliance / Annette Riedl
Wir aber trollen uns von diesem Schauplatz und kommen zu Sir Simon Rattle, der sich als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker nun verabschiedet hat. Christiane Peitz überblickte im Berliner TAGESSPIEGEL die finalen Auftritte des Star-Dirigenten:
"Seine letzten In-door-Konzerte in der Philharmonie hatte Rattle vergangene Woche mit Mahlers Sechster bestritten: Katastrophenmusik für eine katastrophische Zeit, mit apokalyptischer Schärfe und verzweifelter Sinnlichkeit. In der Waldbühne fügt er die andere Hälfte seiner Botschaft an die Musikstadt Berlin noch einmal hinzu: keine Angst vor Unterhaltung, keine Angst vor dem Sentiment, vor der Grenze zum Kitsch. Klassik ist beides, wenn man es nur aufrichtig meint, irdisch und überirdisch, Naturidyll und Kriegserklärung, Eskapismus und Eschatologie, Trauer und Trost, die unbestechliche Analyse der Gegenwart, aber eben auch ein Mittel, um sie besser zu ertragen." Mit warmer Anerkennung: Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL.

Sechzehn Jahre Schafskälte

"Sechzehn Jahre Schafskälte" titelte dagegen die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, in der Jan Brachmann ein verhaltenes Resümee zog. "Ganz offenbar hatte Rattle den Eindruck, immer etwas tun zu müssen, eingreifen, umprägen, ja, umerziehen: die Stadt genauso wie das Orchester. Nun sind aber die Berliner Philharmoniker ein Ensemble, das Druck mit Gegendruck beantwortet und Herausforderungen nicht nur annimmt, sondern erwidert. Und hört man sich die Stellungnahmen von Sir Simon aus den letzten Jahren an, so war seine Arbeit als Chefdirigent in Berlin für ihn weitaus mehr Herausforderung als Vergnügen. Liebe, Freude, Hingabe, Gelöstheit hat man da wenig bemerkt", behauptete der FAZ-Autor Brachmann.

Rattle übernimmt das London Symphony Orchestra – wohingegen der Ex-Intendant Frank Castorf nach 25 Jahren Berliner Volksbühne ein nomadisierender Regisseur geworden ist. Im Vorfeld der Premiere von Molières "Don Juan" veröffentlichte die SZ ein Gespräch mit Castorf, das von vielem handelte. Und wieder einmal von Castorfs Frauen. Als sei das gesetzlich vorgeschrieben, flocht auch die SZ-Autorin Christine Dössel den Potenz-Aspekt mit ein. Castorf habe ja sechs Kinder von fünf Frauen und sei mit vielen Schauspielerinnen zusammen gewesen, und wollte wissen: "Noch immer so viele Liebeswirren?"
Theaterregisseur Frank Castorf
Castorf: "Alte Männer und junge Frauen. Und dann womöglich noch Kinder, das ist nichts mehr für mich." © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini

Castorf: "Das ist nichts mehr für mich"

Oft hat Castorf solche Vorlagen in ein Loblied auf schöne Frauen und sein eigenes Begehren umgemünzt, nun aber bekannte er: "Ich bin zu alt dafür, ich will das nicht mehr. Alte Männer und junge Frauen. Und dann womöglich noch Kinder, das ist nichts mehr für mich." Hm, das sind für einen Castorf gebrechliche Töne. Immerhin, ein Chauvi ist er geblieben, er meinte in der SZ:
"Nicht jeder, der ein Diplom in Theaterwissenschaft hat, ist dafür prädestiniert, Kunst ausüben zu dürfen. Wenn eine Frau besser ist, habe ich nichts dagegen. Nur habe ich so viele nicht erlebt."
Heinrich Böll und Margarethe von Trotta sitzen in der Küche und rauchen
Heinrich Böll und Margarethe von Trotta© NFP marketing & distribution*
Über Männer, Kunst und #MeToo äußerte sich die Schauspielerin und Regisseurin Margarethe von Trotta, Ex von Volker Schlöndorff, in der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Ich habe mich oft gegen die Vorherrschaft der Männer in meinem Beruf gewehrt. Aber dass Männer nun so eingeschüchtert werden in ihrem, wie soll ich sagen, Impuls, eine Frau auch mal begehrend anzugucken, scheint mir absurd zu sein. Wir sollten uns nicht in einen neuen Puritanismus hineintreiben lassen. Kunst entsteht nicht ohne die Menschen, die damit zu tun haben, nicht ohne ihr Begehren, ihre Leidenschaft." Margarethe von Trotta in der ZEIT.

Die für uns - entschuldigen Sie bitte die miese Qualität der Überleitung - nun vorüber ist. Allen Freunden der deutschen Elf aber, die immer noch verheult, verstimmt, verkatert sind, sei gesagt: Was Sie gerade durchleben, ist nichts anderes als mit einer Überschrift der FAZ:"Die Rückkehr zur Normalität."
Mehr zum Thema