Aus den Feuilletons

Flirrende und flackernde Gedichte

04:11 Minuten
Elke Erb blickt während einer Lesepause an der Kamera vorbei ins Publikum.
Die Büchner-Preisträgerin Elke Erb hat die "Normen der Form" bewusst missachtet, schreibt die "NZZ". © Gerald Zörner / gezett / imago-images
Von Tobias Wenzel · 07.07.2020
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Der Büchner-Preis für Elke Erb begeistert die "NZZ" - aber nicht, wie die Jury das begründet: Denn Erb sei keineswegs eine "Aufklärerin". Vielmehr habe sie immer gegen die "Rationalität des Offenkundigen" angeschrieben.
"Wunderschön" und "Wie schön" liest man in den Artikeln aus den Feuilletons vom Mittwoch - wobei die jeweiligen Journalisten von der Schönheit nicht überzeugt sind oder gar hässliches Handeln hinter der schönen Fassade zu erkennen glauben.

Kritik an WDR-Reisesendung "Wunderschön"

"'Auf Sylt kann man seit einiger Zeit Elektrofahrzeuge leihen. Da machen wir doch gleich mal mit', sagt die Moderatorin und steigt in einen Smart. Dieser ist dann in Front-, Seiten- und Rückansicht zu sehen."
Diese Szene aus einer Folge der WDR-Reisesendung "Wunderschön" schildert Marvin Oppong in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und kann es nicht fassen, wie oft in dem Beitrag, der eigentlich ein journalistisches Produkt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein sollte, ein Werbeeffekt für Mercedes erzeugt wird.
Oppong erwähnt das Wort "Schleichwerbung" nicht, aber man meint es zwischen den Zeilen herauszulesen. Seine Recherchen zeigen jedenfalls, dass es einen Grund dafür geben könnte, warum in der Folge des Fernseh-Reisemagazins so oft Autos, Schriftzüge und das Logo von Mercedes im Bild sind.
Denn die Marketingagentur Act Agency, bei der auch Mercedes Kunde ist, hat Marvin Oppong zufolge bestätigt, für die besagte Folge dem WDR Filmmaterial, so genanntes Footage-Material, gegen eine Lizenzgebühr zur Verfügung gestellt zu haben.
Der WDR bestätigte das nun mit dem Hinweis auf die "sehr begrenzte Drehzeit". "Ob die Szenen mit Mercedes-Logos zum Footage-Material gehörten, wollte der Sender auf mehrfache Nachfrage nicht mitteilen", schreibt Oppong weiter in der FAZ.
"Das Footage-Material der PR-Agentur machte der WDR nicht als solches kenntlich. Zu der fehlenden Kenntlichmachung nahm der WDR ebenfalls keine Stellung. Die Autorin der 'Wunderschön'-Folge, Alice Tschöke, war auf Anfrage nicht für eine Stellungnahme zu erreichen."

Aus Dampf geborene und verdunstende Lyrik

Sicher ist: Elke Erbs Gedichte stammen von keiner Werbeagentur. "Elke Erb bekommt den Büchner-Preis. Endlich", ruft Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG aus. Die Jury habe Erb zwar als "unverdrossene Aufklärerin" bezeichnet, aber in Wirklichkeit seien ihre Gedichte und Prosatexte gerade nicht aufklärerisch.
Erb habe immer gegen die "Rationalität des Offenkundigen" angeschrieben und in der Lyrik die "Normen der Form" bewusst missachtet: Ihre Gedichte "flirren und flackern. Es macht ihnen nichts, aus Dampf geboren zu sein. Wenn es sein muss, dann ist ihr Verdienst das Verdunsten", schreibt Jandl und zitiert noch ein Gedicht Elke Erbs zum Verhältnis von Mensch und Boden.

Ein Haus wie ein Sahnebaiser

Apropos Boden: Waren Sie, liebe Hörer, eigentlich schon mal eifersüchtig auf Erde? "Gärtnern ist eine Liebesaffäre mit der Erde", behauptet jedenfalls Andrea Seibel in der WELT und sinniert sinnlich: "Dieses Gestalten, dieses In-der-Erde-Wühlen, das Umgraben, Gießen, Düngen, Zupfen, Schneiden verändert die Art und Weise, wie man die Welt sieht."
Darum gleich noch eine Frage zur Erde, zum Boden: Welchen Quadratmeterpreis wären Sie beim Kauf einer Wohnung oder eines Hauses bereit zu zahlen? Vielleicht sogar 32.791 Euro? So viel kostet der Quadratmeter der insgesamt 38 Millionen Euro teuren Retro-Neubauvilla in München. "Was bekommt man für so viel Geld?", fragt Gerhard Matzig in seinem Artikel mit dem augenzwinkernden Titel "Wie schön" für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
"Abgesehen von den Mücken der sommerlichen Isar, den wie in jeder Vorstadt von monströs adipösen Automobilen zugeparkten und insofern eher klein- als großbürgerlich wirkenden Bürgersteigen", schreibt Matzig, "erhält man möglicherweise ein Haus, das aussieht wie ein in der Bäckereiauslage liegendes Sahnebaiser mit Eischnee und Zucker aus der Spritztüte."
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