Aus den Feuilletons

Fliegen ist okay - Theater nicht!?

04:19 Minuten
Eine Frau sitzt mit einer FFP2-Maske in einem Flugzeug am Fenster.
Klare Prioritäten: Der Flug in den Urlaub ist erlaubt, der Theaterbesuch untersagt. © imago-images / Christian Offenberg
Von Hans von Trotha · 06.05.2021
Audio herunterladen
Die "Süddeutsche" kann nicht verstehen, warum ein Theaterbesuch unter Pandemieaspekten eine gefährlichere Unternehmung sein soll als eine Flugreise. Schließlich gebe es im Theater viel mehr Kubikmeter Luft als in der Enge eines Flugzeugs.
Es ist eine Zeit dramatischer Handlungsarmut. Während wir allesamt lockdown-passiv der Impfung entgegendämmern, gibt es nur noch eine Akteurin: die Pandemie.
Eine Zusammenschau, was die Pandemie als letzte Akteurin so treibt, hat unter der Überschrift "Die Pandemie zeigt uns" für die SÜDDEUTSCHE Moritz Baumstieger zusammengestellt. "Die Pandemie hat uns gezeigt, wie verwundbar wir sind." Das hat Papst Franziskus gesagt, im Gegensatz zu: "Die Pandemie zeigt uns: Ja, wir sind verwundbar", das ist Frank-Walter Steinmeier. Während "Die Pandemie zeigt uns auf eindrucksvolle Art und Weise, dass wir alle zur gleichen Spezies gehören" aus dem Bestattungsinstitut Wegener in Wülfrath kommt.

Schwächen in der Pandemie-Kooperation

Und jetzt auch noch das: "Die Pandemie bringt das Patentrecht in die Kritik." Das stellt Axel Metzger in der FAZ fest. Der Professor für Immaterialgüterrecht meint: "Patente schützen die Demokratie" und führt aus, dass eine Aufhebung des Patentrechts, wie aktuell für Corona-Impfstoffe diskutiert, das Impfen nicht beschleunigen würde.
Doch auch auf seinem Feld pflügt die Pandemie in Hyperaktivismus: "Die Corona-Pandemie hat in den letzten Monaten die Schwächen der internationalen Kooperation in der Gesundheitsversorgung schonungslos offengelegt", heißt es in der FAZ.
In der TAZ erfahren wir im Rahmen der immer unbedingt lesenswerten Rubrik "Berichtigung", wie die Pandemie sogar unmittelbar in den Redaktionsalltag eingreift: "Wahrscheinlich" - wieso eigentlich: wahrscheinlich? Egal. "Wahrscheinlich wegen Corona", heißt es in der beliebten täglichen Miniglosse, "musste auch die beliebte tägliche Miniglosse 'Berichtigung' den Gürtel um ein Vielfaches enger schnallen. Aber jetzt, endlich", so die Glosse über sich selbst, "ist wieder etwas Licht am Ende des Tunnels: mehr Platz, mehr Zeilen, Hurra, wir leben noch!"
Hoffen wir, dass dieser aufmüpfige Widerstand gegen den Pandemieaktivismus nicht seinerseits noch einer Berichtigung bedarf.

Streamen ist kein Ersatz

Bei Rüdiger Schaper schafft es die Pandemie sogar, so etwas wie Furcht vor dem Theater zu provozieren: "Groß ist die Sehnsucht nach Theater", schreibt er im TAGESSPIEGEL, "so groß manchmal, dass man sich vor dem Wiedersehen fast schon fürchtet." Und: "Die Pandemie zwingt so vieles ins Netz, und wenn man mit Theatermenschen spricht, hört man immer öfter, dass auch sie die Nase voll haben vom Streamen."
Die Musical-Theater aber können nicht einmal das. Warum das nicht funktionieren würde, erklären Christiane Lutz und Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN mit einer Formel: "Musical ist Masse und sinnliche Überwältigung". Und genau dies, "die Opulenz wird der Branche jetzt zum Verhängnis". So macht die Pandemie den Titel eines Erfolgsmusicals zur Kategorie für alle Angehörigen der Branche: "Les Misérables" prangt es in großen Lettern im SÜDDEUTSCHE-Feuilleton.
"Eine ganze Branche liegt im nervösen Wachkoma", stellen Lutz und Menden fest. Sie zitieren Musical-Produzentin Uschi Neuss mit der Feststellung: "Man sortiert uns immer unterschiedlich ein. Mal sind wir Kultur, mal sind wir Wirtschaft." Und zu dem vielen, was die Pandemie so lehrt, in ihrer brachial oberlehrerinnenhaften Art, gehört leider auch, dass es nicht besonders erstrebenswert ist, zur Kultur zu gehören: "Warum hat die Kultur so wenig Relevanz in dieser Krise?"

Leben ohne Fußball - geht nicht

Die SÜDDEUTSCHE stellt die Frage wieder einmal, fett gedruckt – und die richtet sich nicht an die Pandemie. "Die Leute setzen sich ins Flugzeug, bei 400 Kubikmetern Luft, das sei okay", stellt Uschi Neuss fest, und es sei "wissenschaftlich verbrieft, dass das sicher ist." – Um hinzuzufügen: "In einem Theatersaal sind 27 000 Kubikmeter Luft" und zu fragen: "und das ist ein gefährlicher Ort?"
Beim Fußball wird es schneller gehen als im Theater, denn, um noch einmal auf das Pandemie-Aktivitätenprotokoll gleich daneben in der SÜDDEUTSCHEN zurückzukommen: "Die Pandemie hat gezeigt: Ein Leben ohne Fußball funktioniert nicht." – Thomas Hägele, Torhüter 1. FC Eschach. Aber auch: "Die Pandemie zeigt uns, wie toll der Kapitalismus ist – und wie inadäquat", so die NEW YORK TIMES.
Und bitte, Pandemie, einen Wunsch, nachdem Du so lang so frei wüten durftest: Mach, dass Gabor Steingart einfach mal nicht recht hat und eine fette Berichtigung schreiben muss für den Satz: "Corona zeigt uns die Welt von morgen."
Mehr zum Thema