Aus den Feuilletons

Flammende Herzen

Der Sänger Jan "Monchi" Gorkow (l.) und der Bassist Kai Irrgang von der Band Feine Sahne Fischfilet.
Sie lassen niemanden kalt: Feine Sahne Fischfilet © Imago Stock & People
Von Klaus Pokatzky · 17.11.2018
In was für einer Zeit leben wir, wenn sich die "Enkel von Adolf Hitler" zu Wort melden und die Vorführung eines Films verhindern können? Ist die Welt ein Jammertal oder ein Ort der Hoffnung? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Feuilletons der Woche.
"Manchmal macht es Mühe, den geeigneten Einstieg für einen Text zu finden." So beschrieb die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG auch die Mühen einer Kulturpresseschau. "Diverse Strategien bieten sich dann an zur Entschärfung der Situation", verhieß Claudia Mäder. "Zuerst kann man es mit Maniküre versuchen und damit beginnen, die Fingernägel zu schneiden." Ein exzellenter Vorschlag – und nach dem Schneiden der Fingernägel können wir umso besser auf der Computertastatur herumhauen.

Abermals Aufregung um Feine Sahne Fischfilet

"Alle reden von Feine Sahne Fischfilet", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. "Ich habe sie gegessen", bekennt Tobias Rüther. "Sie schwammen in einer weißen Sauce zwischen Gurke und Apfel, ich bestrich aus Forschungszwecken ein Vollkornbrot damit." Feine Sahne Fischfilet – war da nicht was? "Wenige Wochen nach der Diskussion um einen Auftritt der Band ‚Feine Sahne Fischfilet‘ auf der historischen Bauhaus-Bühne in Dessau", rief uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ins Gedächtnis, "gibt es abermals Aufregung um die Punk-Formation aus Mecklenburg-Vorpommern", schrieb Axel Weidemann.
"In Bad Schwartau ist die geplante Vorführung des Dokumentarfilms ‚Wildes Herz‘ von Charly Hübner über die Punkband, der vom 26. November an während der ‚Schulkinowoche‘ in Schleswig-Holstein laufen sollte, abgesagt worden." Und zwar, weil die Polizei "Sicherheitsbedenken" äußerte – nachdem eine anonyme E-Mail mit einer Drohung eingegangen war. "Die ‚taz‘ berichtet, die Droh-Mail sei von ‚Enkeln von Adolf Hitler‘ unterschrieben, die ‚mit 7,62 mm Vollmantelgeschossen aus Sturmgewehren‘ die als ‚Volksverräter‘ diffamierten Lehrer erschießen und das Kino in die Luft jagen wollten." Deutschland im Jahre 2018 – nicht 1918.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

"Ich war gerade in Paris, wo am Wochenende die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs stattfanden", erzählte Patrick Gaspard im Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Es ist wirklich eindrucksvoll, wie die in der französischen Hauptstadt versammelten Staatschefs die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit betonten." Patrick Gaspard leitet die Soros-Stiftung – vor der der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ähnlich große Angst hat wie die "Enkel von Adolf Hitler" vor der linken Punk-Band "Feine Sahne Fischfilet".
"Ich bin ein radikaler Optimist, was die Zukunft der amerikanischen Demokratie angeht", sagte im ZEIT-Interview Patrick Gaspard noch, der einst für Barack Obama den Wahlkampf organisiert hat. "Die Vereinigten Staaten standen einmal für Fortschritt und Frieden in der Welt – und ich glaube, da werden wir auch wieder hinkommen." Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – aber vielleicht gibt es für sie ja auch doch sehr gute Gründe.
"Die diesjährigen Zwischenwahlen sind kein schlechtes Zeichen", hieß es etwa in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN nach den Novemberwahlen, die den Demokraten immerhin die Mehrheit im Repräsentantenhaus gebracht haben. "Eine Mehrheit der Amerikaner fängt an, genauer hinzuschauen, so schwer wir uns damit auch tun", schrieb der Schriftsteller Richard Ford. "Muslime, Indianer, indianische Lesbierinnen, Angehörige der unwahrscheinlichsten Gruppen waren ins Repräsentantenhaus, zu Gouverneuren und in den Senat gewählt worden."

"Die Welt ist ein Jammertal"

DER SPIEGEL befragte eine amerikanische Sprachforscherin: "Können Worte töten?" Und die Professorin Susan Benesch antwortete: "Menschen sind zwar selbstbestimmte Wesen. Aber, ja, Sprache kann sie zu Gewalt verleiten." Bevor wir da wieder an die selbsternannten "Enkel von Adolf Hitler" denken, klopfen wir uns lieber an die eigene journalistische Sprachbrust.
"Die Medien berichten von einer Welt, die sich präsentiert, als wäre sie ein Jammertal", stand in der NEUEN ZÜRCHER. "Katastrophe reiht sich an Katastrophe, Desaster an Desaster", beklagte der Harvard-Professor Steven Pinker im Interview. "Wenn ich eine Zeitung lese oder eine News-Website besuche, muss ich zum Schluss kommen: Diese Welt ist ein Jammertal. Nur, das stimmt nicht." Recht hat der Mann. Und weil er so recht hat, brauchen wir jetzt ein wenig Trost.

"Danke, dass Sie auch über die schönen Dinge berichten"

"Danke, dass Sie auch über die schönen Dinge berichten, die vielleicht weniger zur Schlagzeile führen." Das Zitat aus dem Munde des Papstes teilte uns CHRIST UND WELT mit – die Beilage der ZEIT. Für die war nämlich August Modersohn bei einer Privataudienz des Heiligen Vaters für 350 katholische Journalisten. "Man soll bitte auf Kniefälle verzichten, sagt ein Sprecher", den August Modersohn gern zitiert: "Das dauert schlicht zu lange."
Ein anderer Katholik hätte gut zu der Privataudienz gepasst. "Wem würden Sie das Bundesverdienstkreuz geben?", fragte die Wochenzeitung DER FREITAG den CDU-Politiker Norbert Blüm. Antwort: "Dem Kapitän, der mit seinem Schiff Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettete und dafür in Malta angeklagt wurde."
Der Ausgewogenheit wegen bekommt nun aber noch ein Konservativer das Wort. "Man muss das Konservative von den älteren Herren mit Mundgeruch wegbekommen, die zitternd immer nur von ‚Deutschland, Deutschland‘ sprechen", verlangte der Autor Simon Strauß. "Hilfreich wäre es zum Beispiel, einen intellektuellen Pakt mit jungen, selbstbewussten, liberalen Muslimen zu schliessen", erklärte er im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER. "Über Fragen des kulturellen Gedächtnisses kann ich vielleicht mit einem Muslim besser sprechen als mit einem rechten Identitären oder einem linken Aktivisten, der allein auf Identitätspolitik setzt."
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