Aus den Feuilletons

Explosive Gendersternchen

04:18 Minuten
Supernova
Laut Wikipedia ist „eine Supernova das kurzzeitige, helle Aufleuchten eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit durch eine Explosion, bei der der ursprüngliche Stern selbst vernichtet wird“. © dpa
Von Klaus Pokatzky · 08.03.2019
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Was tun, wenn man sich über Neuerungen der Sprache und des Schriftbilds so sehr aufregen muss, dass man einen Aufruf zum Widerstand gegen den „Gender-Unfug“ unterschreiben will? Die „TAZ“ rät: „möglichst viel Zeit zwischen Stressauslöser und Stressreaktion einbauen.“
"Wir sind alle Wölfe, die denselben Mond anheulen." Das sagt im Interview mit dem SPIEGEL der kanadische Dichter Atticus. "Ich glaube, in unserem digitalen Zeitalter sehnen sich Menschen danach, etwas zu fühlen." Atticus ist ein besonders bescheidener Vertreter der Dichtzunft und versteckt sein Gesicht immer hinter einer silbernen Maske.
"Auf Erden brauchen wir unsere Körper-Werkzeuge, um uns verständlich zu machen." Das meint eine Dichterin ganz ohne Maske in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Den Körper als Transportmittel", verteidigt so Ulla Hahn. "Im Alter wird dieses Transportmittel immer bedeutungsloser, bis es unbrauchbar wird. Der Geist gibt den Körper auf. Nicht umgekehrt. Der Geist wird frei."

Verhältnis von Künstlicher Intelligenz und Literatur

Thema der Schriftstellerin ist das "Verhältnis von Künstlicher Intelligenz und Literatur" – in Zeiten, wo sich nicht nur Dichter hinter Masken verstecken, sondern demnächst wohl nicht nur Gedichte, sondern ganze Romane von Robotern verfasst werden könnten. Menschliche Arbeitsplätze sind bedroht.
"Sorgen machen müssen sich zunächst Menschen, die Katalogtexte schreiben, Wetterberichte, Sportberichte, datenbasierte Texte. Die Maschine hat in Sekunden Zugriff auf das Weltwissen", blickt Ulla Hahn in die Zukunft – und auch mal in die ganz alte Vergangenheit:
"Folgt man dem Axiom, dass die Sprache den Menschen macht, dann begann mit der Schrift die Virtualisierung des Menschen." Diesen Satz müssen wir wohl mehrfach lesen, wenn wir ihn verstehen wollen - und da hoffen wir nur, dass sich die schriftstellernden Roboter auf Anhieb verständlich ausdrücken werden.

Wut über "sternchenbesäte Schreiben"

Wobei: Dürfen wir einfach so vom Roboter reden – oder müssen wir nicht sagen "Roboter und Roboterin"? Am besten noch mit so einem Gendersternchen dazwischen? "Die sternchenbesäten Schreiben, die ich bisweilen von einer Universität bekomme, wenn es um eine Veranstaltung geht, bringen mich zur Weißglut", ruft da empört die nächste Literatin dazwischen.
"Es entsteht ein holpriges Schriftbild, das mich beim Lesen aus der Bahn wirft, als müsse man mir einen pädagogischen Befehl erteilen, dass ich niemals vergessen darf, auch im kleinsten Wurmfortsatz von drei, vier Wörtern geschlechtsgerecht zu denken", schreibt Sibylle Lewitscharoff in der Tageszeitung DIE WELT gegen den "Gender-Unfug" an.
"Allein das Wort geschlechtsgerecht verströmt einen unangenehmen Geruch, als müsse man Gummihandschuhe überziehen, um die Vagina oder den Penis zu untersuchen."

Deeskalationstraining

Ruhig bleiben, Sibylle Lewitscharoff; "bis zehn zählen", wird in der Tageszeitung TAZ bei Wutausbrüchen geraten: "Man muss möglichst viel Zeit zwischen Stressauslöser und Stressreaktion einbauen, damit man nicht aus dem Affekt heraus reagiert", empfiehlt der Deeskalations-Trainer Matthias Wolter.
Irgendwie hat es ja auch etwas Beruhigendes, wenn wir uns heute über Gendersternchen erregen können; da gab es ja mal ganz andere Zeiten. "Die ‚Domäne Mann‘ war nicht zu übersehen", erinnert sich und uns Marlies Hesse, die 1968 die erste Frau in einer Führungsposition beim Deutschlandfunk in Köln wurde, erst als Pressechefin, dann als persönliche Referentin des Intendanten.

Gruppenbild mit Dame

"Wenn fotografiert wurde, war das immer ein ‚Gruppenbild mit Dame‘", erzählt Marlies Hesse im Interview der TAZ. "Die Frauen waren vor allem in der Kultur beschäftigt, verantwortlich für E- und U-Musik. In der Politik kamen sie lediglich als Nachrichtenredakteurinnen und -sprecherinnen vor, hatten also kaum inhaltliche Verantwortung."
Tempi passati, Gottseidank sind die Zeiten vorbei. "Ohne Frauen geht es nicht. Aber die Männer kann man nicht ausschließen." Danke. Meinetwegen auch mit Sternchen…
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