Aus den Feuilletons

Erfurter Kungelei

06:28 Minuten
Björn Höcke, (r) Fraktionsvorsitzender der AfD, gratuliert dem frisch gewählten Thomas Kemmerich (l., FDP), dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten.
Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen führte zu Diskussionen über Kungeleien und Tricks auf dem politischen Parkett. © picture alliance/ dpa-Zentralbild/ Martin Schutt
Von Klaus Pokatzky · 08.02.2020
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Die missglückte Ministerpräsidentenwahl in Thüringen war das unschöne Ereignis der Woche. Die "FAZ" sieht hier eine "Kombination aus Dummheit und Fahrlässigkeit" am Werk. Missglückt ist aber auch die eine oder andere Medienreaktion zur Wahl.
"Worüber haben Sie sich in dieser Woche in den Medien denn am meisten geärgert?" Das fragt der TAGESSPIEGEL jeden Sonntag. "Über die Pietätlosigkeit von Titelschlagzeilen in Bezug auf das Coronavirus", antwortet die Schauspielerin Sesede Terziyan. "Die Titel schüren das ohnehin schon existierende rassistische Gedankengut, das sich aus Dummheit, Angst und Unwissenheit verbreitet", sagt sie dem TAGESSPIEGEL. "In Zeiten, wo Rassismus salonfähig geworden ist, ärgert mich das zutiefst!"
Da ist sie wahrlich nicht die Einzige – und schon gar nicht in dieser Woche.
"Zwar muss man im Lauf eines politischen Lebens manche Kröte schlucken, aber man darf nicht selbst zur Kröte werden." So zitiert die Tageszeitung TAZ Hildegard Hamm-Brücher, verstorben 2016, und einst eine verantwortungsbewusste und kluge Vorzeigepolitikerin der FDP. "Politik ist was für Profis", zitiert hingegen der TAGESSPIEGEL die Journalistin Dagmar Rosenfeld.
Und was ist Politik in Erfurt, wo sich im thüringischen Landtag der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten auch mit den Stimmen der AfD von Björn Höcke wählen ließ?
"Das Problem der Erfurter Kungelei von CDU und FDP mit der AfD liegt", so die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, "in der Kombination aus Dummheit und Fahrlässigkeit, mit der hier Politiker, die sich konservativ und liberal vorkommen, auf das Spiel hereingefallen sind, das die AfD mit ihnen treibt", meint Jürgen Kaube. "Wenn Kemmerich und seine Mitstreiter in FDP wie CDU ernsthaft geglaubt haben sollten, sie könnten, nachdem er sich durch Höcke und dessen Leute hatte wählen lassen, irgendeine Unterstützung aus dem Rest des Parlaments bekommen, muss man an ihrem Verstand zweifeln."

Unverantwortlich - aber für wen oder was?!

Bei manchem muss man aber auch schon an der Sprache zweifeln – etwa, wenn der Noch-CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring in der ARD auftritt. "Mohring wollte in den 'Tagesthemen' sagen, dass er und seine Parteikollegen keinerlei Verantwortung dafür tragen, dass Kemmerich nun von Höckes Gnaden ins Amt des Ministerpräsidenten aufgestiegen war", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Mohring sagte aber stattdessen: 'Wir sind völlig unverantwortlich für das Wahlverhalten anderer Fraktionen!'"

Deutsche Sprache – schwere Sprache. "Man kann nur sagen: Leider ja. Völlig unverantwortlich", findet in der SÜDDEUTSCHEN Alex Rühle: "Wie kann man die Mitte wieder in die Mitte rücken? Was heißt noch bürgerlich, wenn die AfD mit dem Begriff wirbt? Was bedeutet konservativ, wenn man, statt die Demokratie zu bewahren, bereit ist, gemeinsame Sache mit einem Faschisten zu machen?" Fragen über Fragen.
"Der Vorgang in Thüringen ist", steht in der WELT, "in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmalig. Er deckt das Gefährdungspotential auf, das darin liegen kann, dass durch rechtsextremistische Kräfte der Parlamentarismus als Herz der repräsentativen Demokratie gelähmt werden kann." Das sagt im Interview Andreas Wirsching, der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. "In dem Maße, in dem es der äußeren Rechten gelingt, die demokratisch-parlamentarische Willensbildung zu beeinflussen oder zu beeinträchtigen, droht die Entstehung eines Vakuums. Und dann wächst auch ihre Chance, ihre eigene Agenda zu platzieren und gerade konservative Parteien vor sich her zu treiben."
Oder auch Medien. "Der Dämokrat"– so lautet der Titel des neuen SPIEGEL: "Dämokrat" mit einem "Ä" und dem dazu passenden Bild des AfD-Politikers Björn Höcke, der ja nach einem Gerichtsurteil getrost als "Faschist" bezeichnet werden darf. "Dämokrat, das soll wohl suggerieren, dass der Dämon, zumindest aber das Dämonische an der Herrschaft ist", kritisiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG den SPIEGEL-Titel. "Überraschenderweise handelt die dazugehörige Story im Heft vor allem vom Ungeschick und der Schwäche des Führungspersonals von CDU und FDP", schreibt Claudius Seidl. "Dämokratie meint also eher die Herrschaft der Dämlichen und fällt auf die Erfinder des Begriffs zurück." SPIEGEL-Sprache – ganz schwere Sprache.

Fehler aus Gier und Angst

"Thüringen hat einen gewaltigen Schaden!", meint in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Juliane Stückrad und erinnert noch einmal an vieles, was nach der Wiedervereinigung nicht gut gelaufen ist. "Fehler, die zu Beginn der 1990er Jahre aus Mangel an Erfahrungen, aus Gier oder aus Angst in vielen ostdeutschen Kommunen gemacht wurden, wirken sich bis heute auf die Erscheinungsbilder der Städte und auf das Lebensgefühl dort aus. Vielleicht könnte ein ehrliches Aufarbeiten auch Neiddebatten entschärfen."
Und da verlangt die Ethnologin aus dem thüringischen Eisenach von den Kandidaten der demokratischen Parteien, um "der AfD die Aufmerksamkeit zu entziehen", einiges: "Sie müssen sich den verdrängten Konflikten seit der Neugründung Thüringens 1990 stellen und fragen, wo die Transformation kommunikative Blockaden verursachte, die mühsam hinter einer formelhaft erscheinenden Sprache verborgen werden, damit man unangreifbar bleibt. Diese Sprache vermittelt dem zuhörenden Wähler allzu oft den Eindruck, ausgeschlossen zu sein aus der politischen Kommunikation."
Also keine Expertensprache mehr – einfach Deutsch sprechen, bitte.
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