Aus den Feuilletons

Erdogans Ansichten zu Ballett und Kunst

Der Bild zeigt den türkischen Präsidenten Erdogan. Er hält in seiner Residenz eine Rede an die Nation.
Präsident Erdogan: Zu Balletttänzerinnen hat er eine ganz eigene Meinung. © AP /Dpa-Bildfunk/ Lefteris Pitarakis
Von Tobias Wenzel · 18.07.2018
Auf einer Bühne zu tanzen, kann anrüchig sein. Das meint zumindest der türkische Präsident. Die "Zeit" schreibt darüber, wie Erdogan Ballett, Oper, Staatstheater und andere kulturelle Institutionen seinem Amt unterstellt.
"Alles Unheil kommt von einer einzigen Ursache, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrer Kammer sitzen können." Der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal hat das geschrieben. Gerhard Matzig zitiert diesen Satz in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG allerdings, weil eine Studie, durchgeführt mit 16.000 Teilnehmern in 14 Ländern, Pascals These widerspricht: Wir verbringen 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen.
Und das ist äußert ungesund. Matzig wollte es nicht glauben, fühlte er sich doch als Outdoor-Mensch. Und so hat er an einem Tag den Selbstversuch gemacht und penibel die Zeit gemessen, die er drinnen und draußen verbracht hat. Sogar im Regen ist er nach draußen gegangen, ist mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren – es hat nichts genutzt.

Stubenhocker leben gefährlich

Letztlich hat er an seinem Testtag sogar mehr als 90 Prozent seiner Zeit im Haus oder Büro verbracht. Und das ist gefährlich. Denn die Raumluft könne fünfmal stärker als die Außenluft mit Schadstoffen belastet sein, schreibt er: "Es klingt irre: Aber die von Dieselschwaden geschwängerten Innenstädte können gegen die toxische Atmosphäre von so manchem Kinderzimmer am Stadtrand fast schon als Luftkurorte gelten."
Die Studie ist von einer dänischen Firma bezahlt worden, die Fenster und Lüftungssysteme herstellt. Wer gut lüftet, entgiftet natürlich die Innenräume. Aber die Tatsache, dass das Ergebnis die Firma freut, bedeutet ja nicht automatisch, dass an der Seriosität der Studie zu zweifeln ist.
Gerhard Matzig von der SZ nimmt sie jedenfalls sehr ernst: "Nachdenklich geworden bittet man den Sohn Tags darauf zu einem Abendspaziergang zum Wäldchen hinter dem Haus. 'Nö, lass mal', sagt der. Wieso nicht? 'Kein Wlan.'"

"Erdogan hat die Demokratie abgeschafft"

Keine Demokratie, bemerkt dagegen der im Berliner Exil lebende Journalist Can Dündar in seiner Türkei-Kolumne für die ZEIT und meint: "Erdogan hat die Demokratie endgültig abgeschafft." Seit seiner Wiederwahl hagele es Nachrichten zu weiteren politisch motivierten Entlassungen und Festnahmen.
Die Nationalbibliothek verliere ihre Unabhängigkeit, die drei Millionen Bücher sollen in den Präsidentenpalast umziehen. Außerdem habe Erdogan Staatstheater, Oper und Ballett seinem Amt unterstellt.
Da musste der Journalist an ein Interview denken, das eine Kollegin 1994 mit Erdogan führte. In den Worten von Can Dündar: "Auf die Frage, ob er Probleme damit hätte, ihr die Hand zu geben, wenn sie als Balletttänzerin vor ihm stünde, entgegnete Erdogan: 'Ich hätte Ihnen vor allem geraten, den Beruf zu wechseln. Denn was eine Balletttänzerin tut, worauf sie abzielt, ist offensichtlich. Einer der wichtigsten Zweige des Kulturimperialismus ist es, die Leute unter der Gürtellinie zu beschäftigen. Gott sei Dank haben meine Töchter nicht solche Träume.'" Kommentar Can Dündars: "Heute untersteht das türkische Ballett dieser Geisteshaltung."

Trump und die doppelte Verneinung

"Sie hoffen weiter auf eine demokratische Wende. Was lässt sie angesichts der Lage optimistisch bleiben?", fragt die WELT mit Blick auf die Türkei die politische Autorin und Kommentatorin Ece Temelkuran. Und die antwortet: "Ich nenne es nicht Optimismus, sondern die Entschlossenheit zur Hoffnung."
Wenn Ihnen, liebe Hörer, diese Kulturpresseschau nicht gefallen hat, weil Ihnen die Abschaffung der Demokratie in der Türkei Sorgen macht oder Ihre Gesundheit, weil Sie Stubenhocker sind und schlechte Luft einatmen, dann kann eigentlich nur noch die TAZ helfen.
Die zeigt, inspiriert von Trump, wie man Aussagen einfach in ihr Gegenteil umkehren kann. "US-Präsident Donald Trump rudert zurück: Er habe Putin natürlich nicht vom Verdacht der Einmischung in den US-Wahlkampf freisprechen wollen. Er habe nur in einem Satz die Verneinung vergessen", schreibt die TAZ und ergreift die Gelegenheit, um "noch ein paar weitere historische Zitate zu korrigieren". Angela Merkel, 2015: "Wir schaffen das nicht". Walter Ulbricht, 1961: "Niemand hat die Absicht, keine Mauer zu errichten". Und René Descartes, 1637: "Ich denke, also bin ich mir nicht so ganz sicher".
Mehr zum Thema