Aus den Feuilletons

Eine Woche der Spaltung

05:55 Minuten
Ein Mann und eine Frau beim Handschlag mit Stangen über einer Spalte.
Verbindender Humor ist die beste Reaktion auf Spalter und Spaltung. © imago images / Ikon Images
Von Tobias Wenzel · 05.10.2019
Audio herunterladen
Der 3. Oktober war nur ein Tag in dieser Woche der Spaltung. Von Einheit kaum eine Spur, glaubt man den Feuilletons der vergangenen Tage. Das Land ist gespalten - in Ost und West, Alt und Jung und links und rechts. Da hilft nur Humor.
Die Woche mit dem Tag der Deutschen Einheit ist zur Woche der großen Spaltung geworden. Jedenfalls in den Feuilletons.
"Wie spaltet man eine Gesellschaft?", fragte die Soziologin und Migrationsforscherin Sandra Kostner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Wer da die Antwort "indem man rechtspopulistisch agiert" erwartete, wurde überrascht. Denn Kostner schrieb: "Das erreicht man, indem man die identitätslinke Läuterungsagenda vorantreibt."

Gefangen in Schuld- und Opferidentitäten

Menschen werde eine Schuld- oder eine Opferidentität zugewiesen. Pauschal würden dann Männer, Heterosexuelle, Nichtmigranten, Weiße und Christen eine Schuldidentität bekommen, weil sie für die Abwertung von Frauen, Menschen mit anderer sexueller Ausrichtung, Migranten, Nichtweißen und Nichtchristen – die dann pauschal eine Opferidentität erhielten – verantwortlich gemacht würden.
Das Ergebnis laut Kostner: eine "Wir-gegen-die-Mentalität", die "Spaltung der Gesellschaft", die Beschädigung der Demokratie. "Je mehr die spalterische Identitätspolitik von linker Seite vorangetrieben wird, desto mehr profitiert davon ihr rechter Gegenpol, weil ihm so weiter sich abgewertet fühlende Wähler zugetrieben werden", schrieb Kostner.
"Wer definitiv nicht vom identitätspolitischen Machtkampf zwischen links und rechts profitiert, ist die freiheitlich verfasste Migrationsgesellschaft."

Von Fontane Ambiguitätstoleranz lernen

"Spaltung" sei für sie "das Schmähwort dieses Jahres", schrieb Kathrin Spoerr in der WELT zum Tag der Deutschen Einheit. Das Land sei geeinter als in Internet und Nachrichten dargestellt. Um das herauszufinden, müsse man nur mal das Haus verlassen.
Es ist anzunehmen, dass auch Ijoma Mangold manchmal das Haus verlässt. Aber ein entspannt-geeintes Deutschland scheint er dann doch nicht zu erkennen. Mit Blick auf den 200. Geburtstag von Theodor Fontane, der "ein Leben voller Widersprüche" geführt habe, schrieb Mangold in der ZEIT:
"Wenn Deutschland im Jahre 2019 ein polarisiertes Land ist, in dem die einen die anderen für Nazis, diese wiederum jene für Gesinnungsterroristen halten, dann kann man von Fontane Ambiguitätstoleranz lernen: dass der Wert eines Menschen nicht in seiner Lagerzugehörigkeit aufgeht."

Karel Gotts Geste der Versöhnung

Karel Gott hätte am liebsten gar keinem politischen Lager angehört. Nun ist der Mann, der das Biene-Maja-Lied und viele Schlager gesungen hat, in Prag gestorben. Tschechen würden selten in die Kirche gehen, schrieb Jaroslav Rudiš in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Und doch heißt es nicht, dass wir nicht an etwas glauben. Der eine glaubt an Bier. Der andere an den einen oder anderen privaten Gott. Doch die meisten an Karel Gott." Man könne ihm zwar einerseits vorwerfen, dass er sich mit dem kommunistischen Regime arrangiert und gegen die Bürgerbewegung Charta 77 eine Anticharta unterzeichnet habe.
"Andererseits unterstützte er insgeheim einige Dissidenten und verbotene Musiker, wie später bekannt wurde. Und im November 1989 stand er auf dem Wenzelsplatz und sang zusammen mit dem bis dato verbotenen Liedermacher Karel Kryl die Nationalhymne. Das war eine große Geste der Versöhnung."

Gefangen im Oval Office mit Trump

Donald Trump liegt mehr die große Geste der Spaltung. Das drohende Amtsenthebungsverfahren hat ihn noch hemmungsloser gegen Demokraten und Journalisten wüten lassen - im Oval Office im Beisein des finnischen Präsidenten Sauli Niinistö.
"Niinistö durchsuchte den Raum mit Blicken nach Fluchtmöglichkeiten und rückte immer weiter von Trump ab – bloß die Armlehne seines Sessels hielt ihn zurück", schrieb Dorothea Hahn in der TAZ. Trump bezeichnete vor Medienvertretern die Journalisten als die "wahren Staatsfeinde".
"Kurz nachdem eine Journalistin ihn mit der ruhig formulierten Frage in die Enge trieb, worum er denn dieses Mal den finnischen Präsidenten gebeten habe, bellte Trump in den Raum: ‚Stellt gefälligst diesem Gentleman eine Frage!‘", berichtete Hahn. "Niinistö, der bis dahin ein diplomatisches Pokerface gezeigt hatte, reagierte mit hörbarem Kichern."

Wer bekommt den Literaturnobelpreis?

Wahrscheinlich ist verbindender Humor sowieso die beste Reaktion auf Spalter und Spaltung. Drum zum Schluss noch etwas Komisches über das Literaturnobelpreiskomitee. Das war so gespalten und von Skandalen erschüttert, dass 2018 gar kein Preis verliehen wurde.
Deshalb gibt es in diesem Jahr gleich zwei Literaturnobelpreise, für 2018 und 2019. Andreas Platthaus hat sich in eine Sitzung des Komitees hineinphantasiert und das Imaginierte in der FAZ gewissenhaft protokolliert: Ein Mitglied schlägt vor, Greta Thunberg den Literaturnobelpreis zu geben.
"Svenbro: Nicht so schnell. Was hat Greta denn geschrieben? – Blomqvist: Na, ihre Rede vor den Vereinten Nationen. – Olsson: Ist das nicht ein bisschen wenig? – Kärde: Ihr lebt wohl hinter dem Mond! Wer hat denn heute noch Zeit, so etwas wie Proust zu lesen? – Sundström: Also Greta Thunberg als Nobelpreisträgerin fürs Jahr 2019, denn 2018 hatte sie ja noch nichts geschrieben."
Mehr zum Thema