Aus den Feuilletons

Eine Parodie auf Irrwegen

04:15 Minuten
Heiner Müller lacht
Heiner Müller gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker. © imago images / Gueffroy
Von Paul Stänner · 31.01.2020
Audio herunterladen
Die "Welt" beschäftigt sich damit, wie unvorsichtige Heiner-Müller-Exegeten aufs Glatteis gelockt werden: Eine Parodie auf den Theaterdichter schaffte es, sich als ganz und gar glaubhafter Heiner-Müller-Text in dessen Gesamtausgabe zu schmuggeln.
Der 31. Januar ist überschattet vom Austritt des Boris-Johnson-Lagers aus der Europäischen Union. Die Brexiteers jubeln und werden sich betrinken, die Remainer werden einige Tränen verdrücken. Und alle werden sorgenvoll in die Zukunft schauen - nur Boris Johnson nicht, der ist begeistert, egal was kommt.
Die Tagesszeitung TAZ hat in den Streaming-Diensten immerhin 60 Pop-Titel gefunden, die sich mit dem Brexit beschäftigen. Die meisten Songs hätten sich im Übrigen gegen die Abspaltung gerichtet. Da wird eine "obskure Band" – wie die TAZ schreibt – "namens Political Figures angeführt", die Songzeilen wie "Brexit means Brexit" mit O-Tönen aus den vergangenen Debatten mischt.
Oder der in Frankreich lebende Remainer Douglas Hinton wird genannt, der einen Song geschrieben hat mit dem Titel "Road to Brexitinction", womit er ein neues Wort erschaffen hat, das die Auslöschung des Königreichs vorhersieht.

Wie Heiner-Müller-Exegeten aufs Glatteis gelockt werden

Da in den vergangenen Brexit-Debatten so unglaublich viel gelogen und verdreht wurde, finden wir leicht eine Überleitung zum nächsten Thema. Die WELT berichtet darüber, wie eine Parodie auf den Theaterdichter Heiner Müller es schaffte, sich als ganz und gar glaubhafter Heiner-Müller-Text in dessen Gesamtausgabe zu schmuggeln.
Die Parodie verfolgte viele Irrwege, die auch von vielen kundigen Leuten beobachtet worden waren, und mutierte zum angeblichen Original. Die Verlagsankündigung habe sie stolz beschrieben als "drei im Nachlaß gefundene(n) knappe(n) Szenen". Seit 2002 schon werden unvorsichtige Heiner-Müller-Exegeten aufs Glatteis gelockt.

Erster Berlinale-Chef war Nazi und bei der SA

Keine falsche Vorspiegelung, sondern eine Verschleierung von Fakten ist Thema im TAGESSPIEGEL. Die ZEIT hatte in ihrer letzten Ausgabe aufgedeckt, dass der langjährige Chef der Berlinale, Alfred Bauer, ein hochrangiger Nazi und SA-Mann war. Nach ihm ist ein Preis der Berlinale benannt, was es nun, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters im TAGESSPIEGEL, nicht "mehr geben werde."
Die WELT führt dazu ein langes Gespräch mit dem Filmhistoriker Armin Jäger, der leicht darauf verweisen kann, dass man das schon längst hätte wissen können, weil die Aktenlage in den Archiven ausreichend sei. Nun gut: Bauer war wohl nur ein kleines Licht der Nazi-Diktatur gewesen und hatte später für seine Berlinale-Jahre einen recht guten Leumund.
Aber, so der Filmhistoriker in der WELT, "das ist doch gerade das Interessante und Beunruhigende – wie opportunistisch die Menschen ihre Ansichten um 180 Grad drehen können, solange es ihnen nützt".

Denkt John le Carré an Palme, denkt er an Mut

Die FAZ druckt einen langen Text von John Le Carré, dem Mastermind des Spionageromans. Er fragt sich, ob er es wagen könne, den Olof-Palme-Preis anzunehmen, der ihm angetragen worden war. Carrés Thema ist der Mut:
"Wenn man Palme liest und darüber nachdenkt, fragt man sich bald, wer man selbst eigentlich ist. Und wohin die eigene moralische Tapferkeit verschwunden ist, als sie gebraucht wurde." Le Carré lässt in der Erinnerung Olof Palmes Leben und sein eigenes parallel laufen, bewundert den menschlichen und politischen Mut des Schweden und schwärmt:
"Ich möchte einen Olof Palme auch für mein Land, das während meiner Lebenszeit nicht einen einzigen Staatsmann seines Formats hervorgebracht hat. Ich möchte zu ihm sagen: ‚Ich bin nicht nur Remainer, ich bin durch und durch Europäer, doch nun haben die Ratten das Ruder übernommen.‘" Es finden sich noch weitere entschiedene und kluge Bemerkungen in Mr. Masterminds Text, der hiermit wärmstens empfohlen wird. Den Olof-Palme-Preis hat Le Carré am vergangenen Donnerstag entgegengenommen.
Liebe Hörerinnen und Hörer, heute Nacht geht Großbritannien, the land of hope and glory. Hoffen auch Sie auf das Beste für uns alle und genießen Sie ihr Johnson-freies, also glorioses Wochenende.
Mehr zum Thema