Aus den Feuilletons

Eine öffentliche Bücherei auf 2000 Bürger

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Die Tschechische Nationalbibliothek in Prag. Das Land hat die höchste Bibliotheksdichte weltweit.
Blick in die Tschechische Nationalbibliothek in Prag. Das Land hat die höchste Bibliotheksdichte weltweit. © imago stock&people
Von Klaus Pokatzky · 19.03.2019
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Das Gastland der Leipziger Buchmesse 2019 ist Tschechien. Der "Tagesspiegel" verweist auf ein bis 1991 geltendes Gesetz, das zur Folge hat, dass dort die höchste Bibliotheksdichte der Welt anzutreffen ist.
"Bei welcher Sendung schalten Sie ab?", fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. "Karneval, Volksmusik, Silbereisen", antwortet der Journalist Oliver Jahn. "Ebenso und noch schlimmer: Maischberger, Illner und Co: Die Polit-Talkshows mit den seit Jahren gleichen Gesichtern und den ermüdenden, fast rituell ablaufenden Parteistreitigkeiten."

Politikverdrossenheit durch Talkshows

Das sind die Sendungen, wo grundsätzlich niemand ausreden darf, alle einander ins Wort fallen und die Moderatoren danebensitzen. "Ich halte Letztere für mitverantwortlich für die Politikverdrossenheit, da es in den Sendungen nicht um Problemlösungen geht", sagt Oliver Jahn noch in der neuen Reihe "Wunschfunk" der SÜDDEUTSCHEN: "Das fördert das Aufkommen antidemokratischer Parteien".
Am einfachsten ist es: Den Fernseher gleich abschaffen und mehr Bücher lesen!

Die größte Bibliotheksdichte der Welt

"Einer Untersuchung von 2013 zufolge kommt auf knapp 2000 Bürger eine öffentliche Bücherei", steht im Berliner TAGESSPIEGEL über Tschechien, das diesjährige Gastland der Leipziger Buchmesse. "Das ist nicht nur eine viermal bessere Versorgung als im europäischen Durchschnitt, es ist die größte Bibliotheksdichte der Welt", schreibt Gregor Dotzauer. "Ein bis 2001 geltendes Gesetz, mit dem Tomáš Garrigue Masaryk, der erste Staatspräsident der Tschechoslowakei, jedem Ort über 300 Einwohner eine Bibliothek verordnete, sollte der nationalen Bildung nach dem Abschied aus dem Habsburgerreich dienen."

Abhörwanzen im Mund versteckt

Vor genau 30 Jahren, im März 1989, gab es in Leipzig die letzte Buchmesse, die von den DDR-Behörden organisiert und kontrolliert worden war. "Längst nicht alle Autoren durften dort auftreten, erst recht nicht, wenn sie überwacht und verfolgt wurden", erinnert die SÜDDEUTSCHE an die alten SED-Zeiten − und zitiert aus den Werken von acht ostdeutschen Autorinnen und Autoren, "die ihre Texte zu DDR-Zeiten nie in Leipzig hätten vorstellen können". Günter Ullmann etwa, der nach den Verhören durch die Staatssicherheit notierte: "Ich ließ mir alle Zähne ziehen, im Glauben, in meinem Mund seien Wanzen versteckt." Oder Radjo Monk mit seiner ganz speziellen Beschreibung eines Diktators: "Nichts zählt ein Diktator lieber als Kinder. Unter seiner Hand, segnend über die Köpfe gestreckt, sterben die Kinder und werden wiedergeboren als Beschlüsse und Zahlen."

Instagram lässt den Absatz nach oben schnellen

Traditionell streiten die Büchermesse in Leipzig und die in Paris, welche als erste dran ist mit dem Sprung in den Literaturfrühling. Diesmal war es die französische Hauptstadt, wo "die Leserreaktionen unberechenbar" sind, wie es in der SÜDDEUTSCHEN heißt. "Da kommen einer Bloggerin beim Durchblättern des in der Buchhandlung zufällig aufgegriffenen Buchs 'Die Wand' von der ihr völlig unbekannten Autorin Marlen Haushofer plötzlich die Tränen. Sie schreibt das auf Instagram − und die Absatzzahlen schnellen in die Höhe", beschreibt Joseph Hanimann, wie Buchmarketing heutzutage funktioniert. "Der Verlag Actes Sud musste in einer Notaktion den 1963 erschienenen Roman der Österreicherin nachdrucken."

Pyjama und Perserbrücke als Outfit

Irgendwann wird es dann gar keine professionellen Literaturkritiker mehr geben. Aber dafür haben wir ja den Fernseher. "Die Gäste rücken im 8-Minuten-Takt auf der Sitzgruppe weiter wie auf 80er-Jahre-Kindergeburtstagen mit Reise-nach-Jerusalem." So beschreibt die Tageszeitung DIE WELT die neue Literatursendung von Thomas Gottschalk. "Als Soundtrack läuft der quasselnde Gottschalk, sein Outfit ist eine Mischung aus Pyjama und Perserbrücke", meint Marc Reichwein. "Hier hat sich ein bayerischer Salonlöwe im Hausanzug schon mal für die Nacht der Fernsehkarriere bereit gemacht."
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