Aus den Feuilletons

"Eine Kultur zu definieren ist völlig absurd"

Demonstranten tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Was ist das für 1 Leitkultur?".
Demonstranten tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Was ist das für 1 Leitkultur?". © dpa / picture alliance
Von Klaus Pokatzky · 20.05.2017
Der Heidelberger Philosophie-Professor Jens Halfwassen zeigt sich in der FAZ überzeugt: "Die Forderung nach einer deutschen Leitkultur wird vermutlich folgenlos bleiben." Ein Ende der Debatte darüber ist jedoch noch nicht abzusehen.
"In Paris bin ich höflich und bescheiden, weil ich Gast bin."
Das lesen wir im neuen TAGESSPIEGEL – aus Berlin.
"In Berlin bin ich Berliner",
sagt im Interview der Schauspieler Frederick Lau; und jeder, der schon einmal einem Berliner begegnet ist, weiß was ihn da erwartet. Hanseatische Höflichkeit oder westfälische Herzlichkeit auf jeden Fall nicht. Umgangsformen sind Leitkultur.
"Was ist Nationalkultur?"
Fragte dazu passend die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Die von Innenminister de Maizière vorgebrachte Forderung nach einer deutschen Leitkultur wird vermutlich folgenlos bleiben",
stellte Jens Halfwassen fest.
"Unter der 'europäischen Kultur' verstehe ich nicht das sogenannte 'christliche Abendland', sondern den Gesamtzusammenhang der europäischen Kulturentwicklung seit den homerischen Epen, also die dreitausend Jahre europäischer Kultur, die wir aufgrund der erhaltenen Texte dieser Kultur überblicken können",
legte der Heidelberger Philosophie-Professor schon mal einen Baustein für unsere deutsche Leitkulturdebatte. Die schreit nach Akademikern.

"Kommunismus ist ein Teil der Kultur, Nietzsche genauso"

"Eine Kultur, ob deutsch oder europäisch, zu definieren oder künstlich herzustellen ist völlig absurd."
Das fand der nächste Professor in der Tageszeitung DIE WELT.
"Die Strukturen sind zu heterogen, zu widersprüchlich, einzelne Haltungen und Attitüden stehen im Konflikt",
meinte im Interview der Philosoph Boris Groys von der New York University:
"Die deutsche Kultur zum Beispiel schließt vieles ein, was sie dann selbst verbietet. Kommunismus ist ein Teil der Kultur, Nietzsche genauso."
Gehört das Kreuz auch dazu?
"Säkulare Politiker wollen verhindern, dass auf dem neuen Berliner Stadtschloss ein Kreuz errichtet wird",
empörte sich DIE WELT über "eine unglaubliche Debatte". In der Hauptstadt soll ja das alte Schloss als Heimstatt für das Humboldt-Forum neu errichtet und 2019 fertig werden – also wahrscheinlich Jahrzehnte vor dem neuen Flughafen. Ein privater Spender will die Kuppel mit einem Kreuz finanzieren.
"Die Stiftung Zukunft Berlin unter Vorsitz von Volker Hassemer spricht sich gegen ein Kuppel-Kreuz für das Berliner Schloss aus",
teilte der TAGESSPIEGEL mit und zitierte die Stiftung mit dem Satz:
"Unterm Kreuz? Das klingt nach 19. Jahrhundert und nach christlicher Leitkultur."

Intellektuell und durchdacht – Monika Grütters eben

Auch von den Grünen und der Linkspartei kam Kritik. Die Schlosserbauer wollen sich aber mit dem Kreuz möglichst am alten Original orientieren und finden dafür auch Zustimmung.
"Unsere Kultur der Offenheit, Freiheit und Barmherzigkeit hat ihre Wurzeln in unserem christlichen Menschenbild",
erklärte etwa Kulturstaatsministerin Monika Grütters von der CDU:
"Das Angebot eines offenen Hauses, wie es das Humboldt-Forum sein will, ist nur glaubwürdig, wenn wir uns unserer eigenen Wurzeln bewusst sind und sie auch zeigen. Nur wer sich seiner Identität sicher ist, kann dem Anderen Raum geben, ohne sich bedroht zu fühlen."
Das klingt schon sehr intellektuell und durchdacht – Monika Grütters eben.
"Warum wir keine intellektuellen Politiker brauchen",
wurde da in der WELT gefaucht.
"Emmanuel Macron kennt die großen Philosophen, Martin Schulz ist gelernter Buchhändler. Na und?"
Gegen solche Leute lieferte Dirk Schümer "eine Polemik" ab.
"Ein möglicher deutscher Vizekanzler, der einmal mit viel Herzblut eine Autorenbuchhandlung betrieb, wird seine Leseleidenschaft erst als Rentner wieder pflegen können",
meinte er zum SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
"Ein guter Staatsmann muss das Formulieren seinen Ghostwritern überlassen – und das Träumen seinen Bürgern."

Das eintönige Arbeitsleben des Managers

Im Geschichtsunterricht hat Dirk Schümer offenbar nicht so richtig aufgepasst. Der grandiose Stilist Otto von Bismarck kommt in seinem Artikel genauso wenig vor wie der Literaturnobelpreisträger Winston Churchill. Von all den deutschen Spitzenpolitikern wie Gustav Heinemann und Roman Herzog, Joachim Gauck, Willy Brandt und Helmut Schmidt ganz zu schweigen – die allesamt mehr Bücher geschrieben haben, als der derzeitige Präsident der USA wahrscheinlich jemals gelesen hat.
"Nie vergessen",
polemisierte Dirk Schümer munter weiter:
"Der letzte Ästhet, der in Deutschland richtig viel zu sagen hatte, war ein Maler aus Österreich. Er wurde berühmt mit einem Buch, ließ sich ein Weltmuseum zusammenrauben und brütete mit seinem letzten Wirtschaftsminister, einem nicht unbegabten Architekten, bis zum Schluss über Bauplänen und Stadtmodellen. Kulturminister war damals ein glühender Cineast, der mit dem Roman ‚Michael‘ einen veritablen Bestseller geschrieben hatte."
Geschichte Sechs; setzen, Kollege Schümer! Nach Hitler und Goebbels war einer der Ästheten, die in Deutschland viel zu sagen hatten, ein Journalist aus Schwaben. Er wurde berühmt mit einer Fülle von Büchern. Eines davon hieß "Hitlers Weg". Und der Mann hieß Theodor Heuss. Und war der erste Präsident der Bundesrepublik. Besonders intellektuell muss man offenbar wirklich nicht sein, wenn man in der WELT Polemiken gegen intellektuelle Politiker schreiben darf. Auf jeden Fall können wir uns jetzt schon vorstellen, was uns in den Feuilletons in diesem Wahljahr so alles noch erwartet.
"Das Arbeitsleben des Managers",
stand in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG,
"ist ziemlich eintönig, eine einzige fortdauernde Anspannung und Anstrengung."
Wie das des Journalisten eben.
"Deshalb bedarf er der Spannungen außerhalb des Berufes, bedarf er der Reize."
So wurde eine Passage zitiert aus einer "Fibel für Manager", erschienen 1958.
"Seine Frau muss ihm in kluger Weise Reize und Abwechslungen verschaffen. Frieden und Heiterkeit und Genüsse, bei denen er sich wohl fühlt und die ihn erfrischen."
Leidkultur von anno dazumal. Leid aber mit "d" geschrieben.
Mehr zum Thema