Aus den Feuilletons

Eine Akademie als korrupte Clique

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Die Schwedische Akademie in Stockholm: Hier werden jedes Jahr die Nobelpreise bekanntgegeben. Dieses Jahr wird der Literaturnobelpreis allerdings ausgesetzt. © picture alliance / imageBROKER / Thomas Robbin
Von Hans von Trotha · 01.10.2018
Die "SZ" und der "Tagesspiegel" beschäftigen sich mit den Verwerfungen innerhalb der Schwedischen Akademie als Folge des Skandals um sexuelle Übergriffe. Die "SZ" folgert, dass der Literaturnobelpreis nur durch eine Neubegründung der Akademie zu retten sei.
"Filterblasen kennen Sie, oder?", fragt die taz aus ihrer Kolumne "Die Gesellschaftskritik" heraus. "Das sind die, in denen wir uns alle bewegen, die aus Menschen bestehen, die denken, lesen, liken wie wir und von denen wir auf die große Masse der anderen schließen und daher annehmen könnten, es wäre überall so kuschelig wie in unserer kleinen Filterblase. In der Filterblase dieser kleinen Zeitung", fährt die taz-Gesellschaftskritik fort, "ist es besonders gemütlich. Wir sind hier, das lesen Sie ja, gegen Rassismus, Sexismus und Menschenfeindlichkeit und wähnen uns damit in der gesellschaftlichen Mehrheit. Doch dann trifft einen immer mal wieder der Schlag, der die Filterblase zum Platzen bringt."

Das Vage macht sich immer gut im Populismus

Das ist das Schicksal, wenn man die Blase pflegt, deren Lob Jens Jessen ja in dieser Woche in der ZEIT singt, aber gleichzeitig durch die Blasenwand nach draußen schaut. Das Problem Blase haben sie alle. Ohne Blase kein Feuilleton, könnte man sagen. Ohne Blase keine Statements wie etwa dieses von Doris Akrap, auch in der taz:
"Es könnte dieser Tage das Gefühl entstehen, nicht Indonesien, sondern Deutschland sei von einer Naturkatastrophe getroffen worden. Wahlweise 'kippt' das Land, die 'Stimmung', die "Stimmung im Land", die Kanzlerin oder gerne auch einfach 'alles'. Was noch nicht gekippt ist", rast Akrap weiter die schiefe Ebene hinunter, "ist auf jeden Fall schon mal 'ins Rutschen geraten'. Meistens ist es 'Etwas'. Das 'Etwas' ist nämlich sehr schön vage und noch viel vager als 'das Land' oder 'die Stimmung'. Und Vages macht sich im Populismus immer gut. Populisten", schiebt Akrap nach, "sind natürlich immer die anderen und nie man selbst."

Aznavour war das Frankreich der großen Gefühle

Siehe die taz-Blase. Während wir weitergehen zur SÜDDEUTSCHE-Blase. Aus der heraus Thomas Steinfeld "Das Ende einer Ära" verkündet. Und er meint nicht den Tod von Charles Aznavour, dessen sie natürlich alle gedenken, wobei Nadia Pantel in der Süddeutschen eine Huldigung ganz aus dem Geist unserer Tage gelingt, die nicht umsonst ins Präsens rutscht:
"Aznavour, das war das Frankreich der großen Gefühle und der großen Kunst, und es war das Frankreich der Einwanderer, die zu ihrer Stimme fanden. Das Land jener, die als Geflüchtete kommen und als Pariser bleiben."

Die Aufhebung des babylonischen Fluchs

Nein, Thomas Steinfeld meint nicht das Ende dieser Ära, auch nicht das Ende der Kanzlerin (dem Doris Akrap entgegenrutscht, die taz-Überschrift "Die Kanzlerin wackelt" zitierend, und die stammt von 2012), Steinfeld stimmt in erhabenem Ton den Abgesang auf eine ganz besondere Blase an: "Das Urteil ist gefällt", verkündet er:
"Wer den Literaturnobelpreis retten will, muss die Schwedische Akademie neu begründen." Steinfeld setzt ganz weit oben an: "Im Nobelpreis für Literatur wurde, scheinbar wenigstens, der babylonische Fluch aufgehoben", schreibt er. "Die Vielheit der Sprachen und Literaturen erschien aus seiner Perspektive wie ein Schleier, hinter dem eine tiefere Gemeinschaft erkennbar wurde, in der die Literatur das Mittel war, mit dem sich die Menschen über sich selbst verständigten."

Spektakulärer Niedergang der schwedischen Akademie

Doch dann: "Ein Funke nur war der Skandal um sexuelle Übergriffe, mit dem im vergangenen November der spektakuläre Niedergang der Schwedischen Akademie begann", so Steinfeld. "Am Rand der Akademie gezündet zischte er auf und warf ein grelles Licht auf die Instanz. In dieser plötzlichen Helligkeit sah die Akademie nicht mehr aus wie eine von der ganzen Welt geachtete, in höchstem Maße zivile Instanz, sondern wie eine zermürbte, von anmaßenden, korrupten Emporkömmlingen beherrschte Clique."
Man könnte auch sagen: wie ihre eigene Blase. Im Tagesspiegel meint Gerrit Bartels: "Vieles trägt den Charakter einer Seifenoper." Und deren Solisten geben sich, als hätten sie die Institution der Blase für sich erfunden, etwa Akademiemitglied Horace Engdahl, den Bartels mit der Äußerung zitiert, er wolle "'unter allen Umständen' bis zu seinem Tod im Amt bleiben".
Das hat Angela Merkel bisher nicht gesagt. Nochmal zurück zur taz und zu Doris Akraps Rutschanalyse: "Dass viele zurechnungsfähige Menschen, Politiker und Journalisten es überall als rutschig empfinden und die Kanzlerin weiter 'wackeln' lassen, ist", so Akrap, "nur mit Glatteis zu erklären, auf das sie sich von den Populisten haben führen lassen."
Rutschen in den Blasen der anderen - das klingt nach einer gefährlichen Sportart - und ist hoffentlich nicht seinerseits der Anfang einer neuen Ära.
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