Aus den Feuilletons

Ein Prost auf Jeff Koons

Der US-amerikanische Künstler Jeff Koons bei einem öffentlichen Auftritt im Jahr 2016.
Der US-amerikanische Künstler Jeff Koons bei einem öffentlichen Auftritt im Jahr 2016. © Imago Stock & People
Von Arno Orzessek · 11.11.2017
Es gab auch in der vergangenen Woche mehr als genügend ernsthafte Themen in den Feuilletons: die Ohnmacht der Intellektuellen, die Sexismus-Debatte, die Oktober-Revolution. Und dann kam Jeff Koons, der erklärte, warum jeder Schluck Hefeweizen eine spirituelle Erfahrung ist.
Am Ende wird’s heute lebenslustig und sogar bierselig. Versprochen, liebe Hörer!
Aber an den Anfang wollen wir ernste Worte des polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Baumann stellen, der im vergangenen Januar gestorben ist.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG besprach Andreas Zielcke das Buch "Das Vertraute unvertraut machen" – ein Gespräch zwischen dem Schweizer Essayisten Peter Haffner und eben jenem Baumann.
Der während der Unterhaltung anmerkte:
"‘Wenn ich in Kürze sterben werde, weil ich ein sehr alter Mann bin, werde ich unerfüllt und unglücklich sterben. Weil es eine Frage gibt, mit der ich gerungen habe, um eine überzeugende Antwort zu finden, und mir ist es nicht gelungen. Die Frage ist sehr simpel: Wie macht man die Welt frisch? Diese Frage stammt aus der Bibel, dem Neuen Testament. ‚Seht, ich mache alles neu‘, wird Jesus in der Offenbarung des Johannes zitiert. Es ist die Frage, wie man Worte in Taten verwandelt.‘"
Die Ohnmacht der Intellektuellen – melancholisch und eindringlich beklagt von dem Epochen-Versteher Zygmunt Baumann.

Wie Deutschland versuchte, Lenin zu vereinnahmen

Der stark von Karl Marx beeinflusst war, der wiederum als der geistige Pate von Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin gelten kann.
Und Lenin, der wusste auf verheerende Weise, wie man Worte in Taten verwandelt.
Was er 1917 bei jenem militärischen Putsch der Bolschewiki bewies, der später, nach Bürgerkrieg und Terror, als Oktober-Revolution verherrlicht wurde.
Um noch einmal die SZ heranzuziehen: Der Historiker Gerd Koenen beschrieb dort die letztlich fatalen Versuche des kaiserlichen Deutschlands, Lenin mit Blick auf den Ersten Weltkrieg für die eigenen Zwecke zu nutzen.
"Wirklich Bedeutung gewann das Zusammenspiel der deutschen Reichsleitung mit den Leninisten nach der russischen Februarrevolution und nach der Durchschleusung Lenins im ‚plombierten Waggon‘ im April 1917 ins heutige Sankt Petersburg. Als die Provisorische Regierung unter Alexander Kerenski im Mai und Juni mit einer letzten Offensive die Mittelmächte Deutschland und Italien zu einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen zwingen wollte, griffen die ‚defaitistische‘ Propaganda der Bolschewiki und die deutschen Zersetzungsbemühungen eng ineinander und trugen wesentlich zum Zusammenbruch des republikanischen Russlands und Auseinanderbrechen des gesamten Vielvölkerreichs bei. Nur inmitten dieses Machtvakuums konnte die von Lenin und Trotzki geleitete Kampfpartei der Bolschewiki die Macht erobern."
Soweit Gerd Koenens Geschichtslektion in der SZ.
Gleichwohl gibt es Leute, die der Bolschewiki viel zärtlicher gedenken.
"Die Wahrheit ganz nach Lenin" überschrieb die TAGESZEITUNG einen Artikel über die Moskauer Redaktion der "Prawda", jener nach wie vor linientreu kommunistischen Zeitung, deren Name übersetzt Wahrheit heißt.
Der TAZ-Autor Klaus-Helge Donath paraphrasierte die PRAWDA-Gedanken zum 100. Jahrestag der Revolution.
"Mehr als zwei Jahrzehnte antikommunistischer Propaganda hätten der kommunistischen Idee nichts anhaben können. Auch die Jugend fange nun an, selbständig zu denken, hebt die Parteizeitung in dicken schwarzen Lettern hervor. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 geht es bei den Kommunisten wieder bergauf, könnte man meinen. Zumindest geben Russlands Kommunisten nicht auf. Siegeszuversicht ist Teil der Lehre des Marxismus-Leninismus, so etwa wie eine Gesetzmäßigkeit. Doch wann der Erfolg sich letztlich einstellen wird, kann hier niemand sagen."

Das erste demokratische Weltparlament

Nicht unbedingt aus dem Geiste Lenins, wohl aber mit revolutionärer Attitüde hat der Theatermacher Milo Rau an der Berliner Schaubühne das – laut Raus Anspruch – erste demokratische Weltparlament einberufen…
Und anschließend zum "Sturm auf den Reichstag" eingeladen, einer Nachinszenierung des Sturms auf das Winterpalais 1917 in Petrograd.
Angesichts dessen und sonstiger Aktivitäten Raus erklärte die Tageszeitung DIE WELT:
"Milo Rau hebt das klassische Theater auf eine neue Ebene. Er spielt mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Natürlich weiß er ganz genau, dass ihm die Pförtner und Sicherheitsleute des Bundestages nicht die Tür öffnen würden. Genauso weiß er, dass kein Donald Trump dieser Welt und nicht einmal Angela Merkel sein Weltparlament anerkennen würden. Aber seine Bühne – und das macht ihn zum bemerkenswertesten Theatermacher unserer Zeit – ist die größte, auf der jemals Theater gespielt wurde. Seine Bühne ist die Welt."
Kritische Anerkennung für Milo Rau von Christian Mayer.
Falls Sie sich schon wundern, liebe Hörer: Aber natürlich haben die Feuilletons auch in der vergangenen Woche über Sexismus und Missbrauch diskutiert, namentlich mit dem neuesten gefallenen XL-Promi-Künstler, nämlich Kevin Spacey, im Visier.
Aber wir wollten uns und Ihnen mal eine Pause davon können.
Biegen wir also auf die lustige Zielgerade ein.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG berichtete Bülent Mumay, dass Präsident Erdogan – selbst gern auf dem Rücksitz einer Mercedes S-Klasse unterwegs – bis 2021 ein original türkisches Auto auf der Straße sehen will.
"Was für ein Zufall, genau richtig zur Propaganda für das Wahljahr!", lästerte Bülent Mumay.
"Erdogans Propagandamedienlaufen schon heiß. Der Chefredakteur einer loyalen Zeitung erklärte: ‚Mit dem dritten Flugplatz für Istanbul haben wir Deutschland verärgert. Mit dem Türkei-Auto nehmen wir Hans nun seinen letzten Trumpf!‘ In der regierungsnahen Presse klangen die Schlagzeilen ähnlich: ‚Heimisches Auto macht die Deutschen nervös‘, ‚Die Deutschen können National-Auto nicht verknusen‘, ‚Panik in Deutschland: Seht nur, wie wir es bauen!‘"

Jeff Koons und die Liebe zum Hefeweizen

So weit die FAZ.
In der WELT AM SONNTAG schwadroniert Jeff Koons über den Zusammenhang von Kunsterfahrung und Hefeweizen.
"Wenn man einen Schluck Hefeweizen nimmt, dann ist das eine fast spirituelle Erfahrung. Letztlich geht es auch hier um die Zugänglichkeit, die der Erfahrung innewohnt. Jeder, wirklich jeder kann die spirituellen und philosophischen Aspekte erfahren, die sich in so etwas Einfachem wie einem Schluck Weißbier offenbaren."
So der große Weltweise Jeff Koons.
Angesichts dessen kommen wir nicht drum herum, liebe Hörer. Unser letztes Wort heute kann nur lauten: Prost!
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