Aus den Feuilletons

Ein Mann, kein Wort

Demonstranten bei den Ausschreitungen in Chemnitz
Demonstranten bei den Ausschreitungen in Chemnitz © AFP / Odd Anderson
Von Tobias Wenzel · 29.08.2018
Nach den rechten Protesten in Chemnitz wundern sich die "Zeit" und die "TAZ" über das seltsame Gebaren von Innenminister Horst Seehofer. Der bayerische Politiker erinnere in seiner Wortwahl an US-Präsident Donald Trump.
"Wie durch eine Indiskretion ans Licht kam, haben Sie sich in Ihrer Eigenschaft als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz mit AfD-Politikern bei Kaffee und Kuchen zu einem netten Stelldichein getroffen und ihnen Tipps gegeben, wie sie der Beobachtung durch Ihre fleißigen Beamten entgehen können", heißt es in einem offenen Brief an Georg Maaßen in der glossierenden Kolumne "Das Letzte" in der ZEIT.
Die Glosse wird im Wechsel von mehreren Autoren verfasst, immer unter dem Namen "FINIS". Nun wünscht sich der Autor dieser Woche von Maaßen, wenn auch ohne Kaffee und Kuchen, ebenfalls Hilfe, nämlich Ratschläge:
"Sollte FINIS auf den mentalitätsgeschichtlichen Sonderstatus östlicher Bundesländer verstärkt Rücksicht nehmen und auch mal ein Auge zudrücken, wenn es dort zu kleinen Rechtsabweichungen kommt? Wir alle wissen: Politiker schützen unsere (Presse-)Freiheit. Folgt daraus nicht zwingend, dass Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer seinerseits vor der übertriebenen Ausübung der Pressefreiheit geschützt werden muss?"

Seehofer bleibt stumm

Jürn Kruse ist bei dem Thema gar nicht zum Lachen zumute. Mit "Ein Mann, kein Wort" hat er seinen Artikel für die TAZ betitelt. Kruse kritisiert die Reaktion des Bundesinnministers Horst Seehofer auf die Neonazi-Proteste in Chemnitz, wo Jagd auf ausländisch aussehende Menschen gemacht wurde. Seehofer sei doch sonst immer berühmt für seine markigen Worte gewesen. So hat er 2016 die Grenzöffnung als "Herrschaft des Unrechts" bezeichnet. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle hat das kritisiert, weil Seehofer damit, auf abwegige Weise, "Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat" wecke. Warum nur, fragt sich Kruse, hat Seehofer nun die Ereignisse von Chemnitz so wortkarg bewertet, ohne Begriffe wie "rechte Gewalt", "Neonazis" oder "rassistisch" zu gebrauchen?
Der Innenminister sei den "pöbelnden, hetzenden Leuten tatsächlich entgegengekommen", analysiert Kruse und zieht folgendes Fazit: "Seehofers Statement erinnert an Trumps Ausführungen nach den Protesten der extremen Rechten in Charlottesville".

Michael Hanfeld von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG blickt kritisch nach links wie rechts: "So wie manche Linke (auch Medien) Schwierigkeiten damit haben, Gewalt zu verurteilen, wenn sie von Linksextremen kommt. So wie manchen das Tötungsdelikt in Chemnitz als Auslöser der Aufmärsche kaum der Erwähnung wert ist, befeuert die AfD das Selbstermächtigungsdenken der Rechtsextremen. Sie reden von 'Revolution', meinen aber die Abschaffung der Demokratie."

Sarrazin verzerrt die Geschichte

Die redliche Argumentation abgeschafft hat Thilo Sarrazin schon lange, wenn man den Rezensenten seines neuen Buchs "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" folgt.
"Deutschland braucht dieses Buch so nötig wie einen Ebola-Ausbruch", urteilt Sonja Zekri in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, schüttelt den Kopf über sachliche Fehler und Sarrazins Entwurf eines "eugenischen Weltbürgerkriegs". In der ZEIT weist Johanna Pink, eine Islamwissenschaftlerin, Sarrazin eklatante Fehler und Unterschlagungen nach und zeigt sich entsetzt darüber, dass er gleich ein doppeltes Zerrbild zeichnet: das "Zerrbild islamischer Religion und der Geschichte muslimisch geprägter Gesellschaften", aber auch das Zerrbild Europas: "Die europäische Moderne hat aus seiner Sicht keine Schattenseiten. Der Kolonialismus kommt allenfalls am Rande, als Segen für die kolonisierten Völker, vor."

Donbass ohne Hoffnung

"Heute ist er wieder am Ruder, der amoralische Mensch", sagt der ukrainische Filmregisseur Sergei Loznitsa im Gespräch mit der TAZ. Auch mit Blick auf eine Szene seines neuen Kinofilms "Donbass", in dem der Mob einen Wehrlosen fast totprügelt. Auch Hanns-Georg Rodek von der WELT hat Loznitsa interviewt. Rodek: "Selbst Filme über schreckliche Dinge enden meist mit einem kleinen Hoffnungsschimmer. In Ihrem Film ‚Donbass‘ kann ich selbst den nicht entdecken." Reaktion des Regisseurs: "Ich auch nicht."
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