Aus den Feuilletons

Drei Männer, drei Schicksale

Dunkle Gänge und ein alter Bibliothekar, den es wohl bald nicht mehr geben wird
Dunkle Gänge und ein alter Bibliothekar, den es wohl bald nicht mehr geben wird © Imago / Olaf Döring
Von Tobias Wenzel · 11.05.2018
Der "Spiegel" versucht das Rätsel "Gerhard Schröder" zu lösen und verfällt dabei auf des Altkanzlers dörfliche Herkunft und "Die Welt" trauert um den Bibliothekar, der ausstirbt. Viel Altes also in den Feuilletons. Nur die FAZ kümmert sich um die Jüngeren, zum Beispiel um Jan Böhmermann.
"Über keinen Deutschen wissen wir so viel wie über Gerhard Schröder", behauptet jedenfalls Nils Minkmar im SPIEGEL. "Und doch blicken wir auf das Foto, das ihn bei der vierten Amtseinführung Waldimir Putins im Kreml zeigt, mit ehrlicher Ratlosigkeit. Es ist, als ob eine liebe Tante im Venedigurlaub beim Versuch, einen Giorgione mit Edding zu verschönern, festgenommen würde. Man sucht nach Erklärungen."
Nils Minkmars Erklärungsversuch: Schröder hat in einem Interview gesagt, er und seine arme Familie seien in ihrem Dorf geringgeschätzt worden. Und Schröder habe als eine mögliche Reaktion darauf genannt, man könne es diesen Dorfbewohnern zeigen. Minkmar zufolge hat er das nun erneut getan, indem er seinem Freund Putin in prunkvollem Ambiente noch vor dem russischen Premierminister die Hand schüttelte: "… jedes Element der Szene widerspricht dem ethischen, ästhetischen und politischen Konsens der Bundesrepublik. Schröder globalisiert sich."

Die FAZ erkennt bei Böhmermann eine Blockwart-Denke

Die Zuneigung von Nils Minkmar zu Gerhard Schröder dürfte ähnlich gering sein wie die von Michael Hanfeld zu Jan Böhmermann: "Dass der Moderator Jan Böhmermann nicht genug Aufmerksamkeit bekommen kann, vermag man seinen Auftritten anzusehen", schreibt Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Und da ahnt man schon, dass kein Liebesbrief folgt. Hanfeld kritisiert die Aktion "Reconquista Internet", mit der Böhmermann, zuerst in seiner Sendung "Neo Magazin Royale", dann im Internet dem Netzwerk "Reconquista Germanica" etwas entgegensetzen wollte, weil "Reconquista Germanica" Böhmermann zufolge "organisierte Volksverhetzung" betreibe.
Böhmermanns Idee: Listen mit Twitter-Accounts veröffentlichen, die an Aktionen dieses Netzwerks beteiligt gewesen sind, und unter anderem die Accounts blockieren. Das hält der studierte Jurist Michael Hanfeld jedoch für bedenklich: "Man weiß nämlich nicht, wie die Listen genau zustande gekommen sind. Wen ordnet Böhmermann dem 'rechten Spektrum' zu, wie definiert sich dieses überhaupt, und warum finden sich auf der längeren Liste auch Namen konservativer Publizisten, die man nicht einfach mit Neonazis in einen Topf werfen sollte?" Dem Wesen nach handele es sich bei dieser Aktion "um nichts anderes als Denunziation", schreibt Hanfeld und schließt mit den Worten: "Den 'rechten Trollen' im Netz, die man damit treffen will, spielt diese 'Blockwart-Denke' in die Hände. Und als Satire, auf die sich Böhmermann gern zurückzieht, wenn es eng wird, taugt es auch nicht."

Ein Nachruf auf den Bibliothekar

Bibliotheken taugen dafür umso mehr: "Wenn es einen Megatrend der letzten Jahre gab, dann den, Bibliotheken als Lern-, Freizeit- und Flirtort aufzusuchen und ganze Tage, bei 24-Stunden-Öffnung sogar Nächte dort zu verbringen", schreibt Marc Reichwein in der WELT. Trotzdem sterbe der Bibliothekar aus. Externe Firmen übernähmen nämlich immer häufiger den Ankauf der Bücher, der Bibliothekar verliere damit eine seiner Haupttätigkeiten. Anstatt am Grabe des Bibliothekars zu weinen, zieht es Reichwein allerdings vor, Umberto Ecos Bibliotheksparodie zu zitieren:
"Der Bibliothekar muss den Leser als seinen Feind betrachten. […] Das ganze Personal muss an irgendwelchen körperlichen Gebrechen leiden, denn es ist Aufgabe jeder öffentlichen Institution, den behinderten Mitbürgern Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. […] Der ideale Bibliothekar muss vor allem hinken, damit mehr Zeit vergeht zwischen der Entgegennahme des Leihscheins, dem Gang ins Lager und der Rückkehr. Bei dem Personal, das auf Sprossenleitern zu Regalen von über acht Metern Höhe hinaufsteigen muss, empfiehlt sich aus Sicherheitsgründen, dass der fehlende Arm durch eine Prothese mit Greifklaue ersetzt wird. Angestellte, denen beide obere Gliedmaßen fehlen, werden den gewünschten Band mit den Zähnen herausziehen und aushändigen (was tendenziell dazu führt, dass keine Bände mehr ausgehändigt werden, deren Größe das Oktavformat übersteigt)."
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