Aus den Feuilletons

Doppelchance Literaturnobelpreis

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Eine Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel.
Seit 1901 wird der Literaturnobelpreis jährlich vergeben. Acht Mal wurde er nicht verliehen, zuletzt 2018. © picture alliance / dpa - Kay Nietfeld
Von Adelheid Wedel · 04.10.2019
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Am kommenden Donnerstag werden gleich zwei Literaturnobelpreise vergeben. Natürlich würden wir alle gerne wissen, wie so eine Sitzung des Entscheidungsgremiums abläuft. Die „FAZ“ nahm das anstehende Großereignis zum Anlass für muntere Spekulationen.
"Die Substanz liegt in der Tiefe. Doch die Oberfläche fasziniert stärker." Zwei Sätze, gefunden in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, reißen kurz an, was Felix Philipp Ingold in einem Essay zur Oberflächlichkeit und Oberflächenhaftigkeit im Umgang mit neuen Kulturtechniken entwickelt.
Er schreibt von den "Oberflächen, die inzwischen weltweit und in beliebigen Sprachen als Informationsträger und Kommunikationsfelder millionenfach in Betrieb sind, sei's in Form von Tablets, Smartphones oder Touchscreens, sei's als PC- oder TV-Monitore". Zwei Sätze seien als Anreiz dafür, den ganzen Artikel zu lesen, zitiert:
"Die Digitalisierung hat gemäß der ursprünglichen Begriffsbedeutung das ‚Fingern‘ zur dominanten Geste des Kommunizierens und Dirigierens werden lassen. Die Fingerspitzen sind weiterhin ein unabdingbares Identitätsmerkmal als Fingerabdruck, darüber hinaus mutieren sie zu hochsensiblen Extremitäten bzw. Kontaktpunkten an diversen Schnittstellen zwischen menschlichem Organismus und digitaler Gerätschaft."
Diese und weitere Gedanken zum Triumph der Oberfläche und der Oberflächlichkeit, "zur Krise der Bedeutung, die man etwas weiter gefasst auch als Sinnkrise bezeichnen könnte", sind nachzulesen auf Seite 39 der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.

Die Handschrift kommt ins Museum

Thematisch führt uns das zwangsläufig zu einem Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, der uns in Zeiten entführt, da Menschen noch mit der Hand schrieben. Dieser Kommunikationstechnik widmet das Literaturmuseum der Moderne in Marbach die noch bis zum 1. März zu besichtigende Ausstellung "Hands on! Schreiben lernen, Poesie machen". Jörg Magenau hat sie besucht und beschreibt, was er zu sehen bekam:
"Was ist, was war die Handschrift?", fragt er, oder: "Ist das Schreiben am PC überhaupt noch ein körperlicher Vorgang, der mit dem vergleichbar wäre, was beim Schreiben mit der Hand geschieht?" Bekannt ist, dass der Mensch "beim Schreiben mit der Hand dreißig Muskeln und siebzehn Gelenke aktiviert".
In Marbach sind nun in erster Linie Exponate ausgestellt, die zeigen, wie einst Schreiben gelernt wurde und wie sich Handschriften im Laufe der Jahrhunderte, aber auch im Lauf eines Lebens verändern. Zu sehen sind Schreibbeispiele von Sarah Kirsch, Heiner Müller, Judith Schalansky oder Joachim Sartorius.

Die Schwedische Akademie tagt wieder

Wir bleiben beim Schreiben und kommen zum höchsten Preis, den es dafür heutzutage gibt: zum jährlich vergebenen Literaturnobelpreis der Schwedischen Akademie. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG registriert: "Gewinnerkombination verzweifelt gesucht" und umschreibt damit die Situation, in der sich die Akademie befindet. Die Frage ist: "Wen wählt sie für ihre beiden diesjährigen Literaturnobelpreise aus, ohne sich neue Kritik zuzuziehen?"
Andreas Platthaus imaginiert eine Sitzung des Komitees und lässt die neun Mitglieder des diesjährigen Literaturnobelpreis-Komitees zu Wort kommen, die vor der Aufgabe stehen, zum ersten Mal nach 1928 in einem Jahr wieder zwei Auszeichnungen zu vergeben. Platthaus hat sich im Verein mit Dietmar Dath, Tilman Spreckelsen und Jan Wiele einen munteren Schlag-Abtausch der Meinungen und Vorschläge ausgedacht, der deutlich macht, woran die Jury-Mitglieder alles denken können und müssen, um diesen hochrangigen Preis möglichst gerecht einem würdigen schreibenden Menschen zuzuerkennen.
Auch die Tageszeitung DIE WELT nimmt in ihrer Literaturbeilage das Thema auf und schreibt: "Nächste Woche meldet sich der Literaturnobelpreis zurück. Doch der MeToo-Skandal, der ihn erschüttert hat, ist nicht ausgestanden." Am kommenden Donnerstag wird es dann wieder so weit sein und Mats Malm, der neue Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, wird in Stockholm vor die Kameras der Weltpresse treten und die Entscheidung der Akademie verkünden.
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