Aus den Feuilletons

Die Seriosität der Krawatte ist dahin

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Ein Mann mit grauen Haaren und grauem Bart sitzt in Business-Kleidung sehr lässig auf einer Holzbank. Er trägt eine Sonnenbrille und Kopfhörer.
Ein Mann mit grauen Haaren und grauem Bart sitzt in Business-Kleidung sehr lässig auf einer Holzbank. © Ivan Gener / Westend61 / imago-images
Von Paul Stänner · 20.06.2019
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Die "Neue Zürcher Zeitung" widmet sich dem Untergang der Krawatte. Früher seien sie und die Seriosität eins gewesen, aber seit den krawattentragenden gierigen Bankern der Finanzmarktkrise habe sich diese Verbindung gelöst.
Aus London lesen wir, dass der amerikanische Autor und Regisseur David Mamet eine "dunkle Posse" inszeniert hat über einen derart gemeinen Filmproduzenten, dass jeder weiß, es geht um Harvey Weinstein. Schon im Vorfeld, berichtet die FAZ, habe es Proteste gegeben, weil es unzulässig sei, aus einem Monstrum eine komische Figur zu machen.

Slapstick-Stück über Weinstein

Leider ist das Stück, wenn wir den Artikel zusammenfassen, einigermaßen misslungen: "Weder er noch die schablonenhaften Nebenfiguren vermögen die leiseste Sympathie zu erregen." Es fallen Begriff wie "plumpe Farce", "slapstickartiger Austausch", "klischeehafter Humor" - man denkt, natürlich kann man aus dem fiesen Weinstein eine komische Figur machen (sogar bei Hitler ist es gelungen), aber man muss es dann auch gut machen.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beklagt "den Untergang eines Textils, das so entbehrlich ist, dass sein Zweck nur in der Schönheit liegen kann." Sie ahnen es gleich, es geht um die Krawatte. "Goldman Sachs hat es beschlossen. Die Kreissparkassen ziehen nach", konstatiert der offenkundig entsetzte Berichterstatter. Früher waren Seriosität und Krawatte gleichsam eins. Seit der Finanzmarktkrise, so eine These, habe sich die Verbindung gelöst, weil man - ich raffe zusammen - dem krawattentragenden Banker nicht ansehen kann, ob er ein seriöser oder gieriger Banker ist. So verschwindet es in der Vergangenheit, das nutzlose, schöne Textil.

Fußballerinnen als Hoffnungsträgerinnen

Der Kulturkorrespondent der FAZ überlegt, ob die siegreichen französischen Fußballerinnen die Nation mit sich versöhnen können. Offenbar gelingt den Damen in der öffentlichen Wahrnehmung ein fantastischer Lauf. Männer haben wohl hier und da noch Probleme mit dem Frauenfußball, so wurden zwei TV-Moderatoren wegen sexistischer Bemerkungen gefeuert, aber das ist erledigt.
Jetzt werden Grammatikübungen veranstaltet: "Ist die Verteidigerin eine "défenseure" oder eine "défenseuse"? Da half nicht einmal die Académie Française weiter.", berichtet die FAZ und schließt mit einem tiefsinnigen, elegischen Satz: "Es ist ein Fußball mit menschlichem Antlitz, ein Fußball ohne Affären und Skandale. Ob die Frauen dem göttlichen Spiel seine verlorene Unschuld zurückgeben können, bleibe dahingestellt."

Wissenschaftler und öffentlicher Intellektueller

Die SÜDDEUTSCHE und die taz haben die Vorlesung besucht, die Jürgen Habermas zu seinem 90. Geburtstag an seiner alten Uni gehalten hat. Als während eines offenbar mutwilligen Feueralarms, mit dem ein geistfeindliches Subjekt die Vorlesung für einige Zeit unterbrechen konnte, alle 3000 Zuhörer draußen herumstanden, machte sich die taz Notizen: "Ich versteh kein Wort von dem, was er über Kant sagt", hört man nicht selten aus der Menge. Warum aber wollen sie ihn alle sehen, wofür steht dieser Denker? Ist es der Umstand, dass vielleicht kein Philosoph nach ihm jemals wieder zwei Rollen, die des Wissenschaftlers und öffentlichen Intellektuellen, so verbindlich und engagiert verkörperte?"
Oder sind es vielleicht die Forderungen, die die SZ mitgeschrieben hat: "Für Habermas aber war seit jeher klar: Die Tatsache, dass wirtschaftliche Zwänge die Handlungsfähigkeit der Politik beschneiden, darf sich nicht zur Einschränkung der öffentlichen Autonomie ausweiten. In einer Demokratie, die den Namen verdient, müssen die Bürgerinnen und Bürger die Gesetze, unter denen sie leben wollen, selbst bestimmen können - und keine Marktmacht."

Der vermeintliche Revolver von van Gogh

Aus Paris kommt noch eine eher kleine Meldung: Ein rostiger Revolver ist für 162.500 Euro versteigert worden. Angeblich soll er das Instrument sein, mit dem sich Vincent van Gogh getötet hat. Man grübelt darüber, welch ein Charakter sich so ein düsteres Pseudo-Kunstwerk an die Wand hängen will.
Zudem: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass es sich wirklich um das Tatwerkzeug handelt. Es reichte dem Käufer das Gerücht um eine fatale, mit einem berühmten Künstler verbundene Waffe, um einen sechsstelligen Betrag auf den Tisch zu legen, wohl mit der zynische Spekulation darauf, beim Weiterverkauf noch mehr zu erlösen. Kein Wunder, dass der Käufer es vorzog, anonym zu bleiben.
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