Aus den Feuilletons

Die Sehnsucht nach Künstlicher Intelligenz

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Amazon Echo Dot ist ein sprachgesteuertes Gerät, das mithilfe von Alexa Musik wiedergibt und gehört zu den Smart-Home-Geräten.
Google und Apple haben die Auswertungen der Aufzeichnungen ihrer Sprachassistenten gestoppt. Bei Amazon kann der User wählen. © Unsplash/ Jan Antonin Kolar
Von Tobias Wenzel · 10.08.2019
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Die "taz" und die "ZEIT" widmen sich der Debatte um Sprachassistenten. Nachdem bekannt wurde, dass Gespräche mit "Siri" und "OK Google" aufgezeichnet und für Optimierungszwecke ausgewertet wurden, stoppten die Firmen diese Praxis vorerst.
Wäre schon praktisch, wenn man - Simsalabim! - alles verschwinden lassen könnte, was einen nervt, und bei Bedarf das Verschwundene wieder herbeizaubern. In den Feuilletons dieser Woche zeigte sich die Faszination für das Spiel mit dem weißen Kaninchen im schwarzen Zylinder, wobei der Zylinder auch weiß und das Kaninchen schwarz sein konnte und die Akteure des Verschwindenlassens meist nichts von der spielerischen Unschuld eines Zauberers hatten.

Den Sprachassistenten beleidigen und anschreien

"Und dann wären da noch die, die sich tierisch aufregen und das Softwareprogramm namens Siri anbrüllen, was für eine dämliche 'Fotze' sie eigentlich sei, dass sie so einen Scheiß schreibt", notierte Ulrike Sellmann für die TAZ. Sprachassistenten zeichnen auf, was ihre Nutzer so alles von sich geben, also auch, wie Männer versuchen, mit wüsten Beleidigungen die digitale Hilfsdame ins Nirwana zu schicken.
Was diese Herren wohl nicht bedenken: Ulrike Sellmann hört mit, in einem Großraumbüro in Barcelona. Sie überwache nicht die Menschen, betonte sie in ihrem Artikel, sondern korrigiere und optimiere die Spracherkennungssoftware.
Als herauskam, dass polnische Leiharbeiter die Sprachassistentin Alexa optimieren, habe die Leiharbeitsfirma ganz schnell ihre Stellenangebote im Internet gelöscht, berichtete Jens Jessen in der ZEIT und deutete das so: "Bei Weitem größer als die tatsächlichen Fähigkeiten heutiger KI-Systeme ist augenscheinlich die Sehnsucht nach ihnen.
Der Mensch will den Roboter - ein Geschöpf von seinen Gnaden -, und wenn es ihn noch nicht gibt, so will er ihn doch zumindest als Lookalike." Anders ausgedrückt: Dem Menschen gelingt es noch nicht, sich aus dem Reich der Maschinen wegzuzaubern, aber er tut so, als ob, während er geduckt an den Stellschrauben dreht.

Die kulturelle Praxis "Cancel Culture"

"Das aktuelle Gespenst heißt 'Cancel Culture' und meint die kulturelle Praxis, Menschen oder Institutionen aufgrund von - realen oder gerüchteweisen - politisch-moralischen Verfehlungen zu 'canceln', sie also 'abzusagen', nicht mehr stattfinden zu lassen", schrieb Hannah Lühmann in der WELT. Der Schauspieler Kevin Spacey, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird, wurde aus Filmen gecancelt, hat sich nun allerdings in einem Museum in Rom gewissermaßen selbst wieder aus dem Zylinder hervorgezaubert.
Neben der Statue eines Faustkämpfers rezitierte er ein Gedicht über Schmerz und Niederlage und dachte wohl an sich selbst. "Auch in Deutschland gibt es mittlerweile Beispiele von 'Cancel Culture'", schrieb Lühmann, "man denke an den AfD-nahen Künstler Axel Krause, der vor kurzem aus einer Leipziger Ausstellung ausgeladen wurde."
Oder an Jörg Baberowski. Der Historiker hatte an der Berliner Humboldt-Universität ein Interdisziplinäres Zentrum für Diktaturforschung beantragt. Der Antrag soll nun passé sein, obwohl ihn Baberowski gar nicht zurückgezogen haben will. Hannah Bethke vermutete in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, die Universitätsleitung habe in "vorauseilendem Gehorsam" gegenüber einigen Studentenvertretern gehandelt, die den Historiker unter anderem einen "Nazi-Apologeten" genannt hatten, anstatt sich mit seiner Kritik am Kommunismus und an Merkels Flüchtlingspolitik inhaltlich auseinanderzusetzen.
Bethke sah eine Verbindung zwischen dem vermutlichen Kuschen der HU Berlin und der neuerlichen Auszeichnung als Exzellenz-Universität und bemerkte polemisch: "Exzellent ist, wer es vermeidet, in der Öffentlichkeit anzuecken."

Erinnerungen an Toni Morrison

"Toni Morrison, wir vermissen Dich jetzt schon", schrieb Sharon Dodua Otoo in der TAZ, als wollte sie die gestorbene US-amerikanische Literaturnobelpreisträgerin am liebsten wieder herbeizaubern, und zeigte sich tief beeindruckt von Morrisons Roman "Menschenkind", in dem eine Frau ihr eigenes Kind ermordet, um es vor der Sklaverei zu bewahren.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG erinnert Tobias Rüther nun an ein Interview von 1998: "Ob sie nicht glaube, fragte eine Starjournalistin ihres Landes, dass sie sich auch einmal ändern und Bücher schreiben würde, in denen es substantiell um das Leben weißer Menschen ginge?"
"Sie können es nicht begreifen", habe Morrison geantwortet, "wie ungeheuer rassistisch diese Frage ist, weil Sie nie einen weißen Autor fragen könnten, wann er denn über schwarze Menschen schreiben würde."

Die Dummheit eines Sportfunktionärs

An dieser Stelle könnte man zur rassistischen Äußerung eines Sportfunktionärs überleiten, die so klang, als ob ihm weniger Schwarze lieber wären. Aber statt dieser fiesen Riesendummheit zum Schluss lieber noch eine "Riesel-Dummheit", wie Gerhard Matzig seinen Artikel für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG genannt hat. Es geht um den Versuch, einen Bau-Rohstoff, an dem es uns jetzt schon mangelt, wieder herbeizuzaubern, nämlich Sand.
In Frank Schätzings Weltraum-Thriller "Limit" wird ein Luxus-Hotel auf dem Mond gebaut, und zwar aus "Mondstaub". "Genauer gesagt aus Regolith, den man tatsächlich, das haben Versuche der Nasa bereits in der Realität gezeigt, mit Kohlenstoff und Epoxidharz zum 'Mondbeton' verdichten könnte. Theoretisch", schrieb Matzig.
"Leider ist noch zu klären, wie man die bald 400 000 Kilometer kostengünstig überwindet, die den Mond von den Großbaustellen in Dubai, Moskau oder dem Münchner Paketposthallenareal trennen."
Vielleicht ginge das ja doch ganz leicht: mit einem schlichten Simsalabim.
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