Aus den Feuilletons

Die mit den richtigen Fragen und Antworten

04:14 Minuten
Die türkische Schriftstellerin Elif Shafak guckt, ganz in blau gekleidet in die Kamera.
Weisheit ist, wenn Kopf und Herz zusammenkommen, sagt Elif Shafak in der "NZZ". © imago/Pacific Press Agency/Michael Debets
Von Klaus Pokatzky · 02.06.2021
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Die Autorin Elif Shafak sieht ihre Aufgabe als Schriftstellerin in der "NZZ" darin, unangenehme Fragen zu stellen. Antworten gibt sie dann aber auch, zum Beispiel nach dem Geschmack von Freiheit: "Nach Zimt und leicht pfeffrig."
"Ich lese alles, was mir zwischen die Finger kommt", steht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Ich tue es, weil ich unendlich lernbegierig bin", sagt die Schriftstellerin Elif Shafak im Interview. "Ich liebe Wörter. Ich liebe Geschichten. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen."
Das tut sie auf Türkisch und Englisch; ist in Frankreich geboren, in der Türkei aufgewachsen, lebte in den USA und arbeitet nun an der Kingston University in London.
"Meiner Meinung nach besteht die Aufgabe einer Schriftstellerin darin, die richtigen, die unangenehmen Fragen zu stellen." Und die richtigen Antworten zu geben.
"Welchen Geschmack hat das Wort 'Freiheit' für Sie?", will die NEUE ZÜRCHER wissen. Antwort: "Es schmeckt gut – irgendwie nach Zimt, warm, intensiv, leicht pfeffrig."

Leiden an Russland

Da kann der Literatenkollege Keith Gessen mitreden. "Jedes Jahr sieht es schlimmer und schlimmer aus", meint er über sein russisches Geburtsland – das er als kleiner Junge mit seinen Eltern Richtung USA verließ; Russland hat er immer wieder besucht:
"Das Problem mit einem Regime, das wirklich unglaublich repressiv geworden ist, besteht darin, dass es kaum noch einen friedlichen Ausweg offenlässt. Denn wenn ein solches Regime seine Macht aufgibt, dann werden sich die Leute, die es gestützt haben, dafür verantworten müssen, was geschehen ist", sagt er im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT.
"Es gibt nur das Geheul der Sirenen, die Sorge um das eigene Leben, das Leben der Angehörigen", schreibt Natan Sznaider aus Tel Aviv über ein Leben, das von Raketen bedroht ist.
"Jugendliche Araber und Juden ziehen schlagend und brandstiftend durch die Städte und machen das zerbrechliche gemeinsame Leben noch unmöglicher, als es schon ist", berichtet er in der NEUEN ZÜRCHER.
"Knapp 2 Millionen Araber leben heute in Israel und bilden damit etwa 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. Schwerlich eine unbedeutende Minderheit."
Da erinnern wir uns mit der Schriftstellerin Elif Shafak gern an "ein Gedankenexperiment, das christliche, jüdische und muslimische Mystiker pflegten: Jeder Mensch hat einen göttlichen Funken in sich, auf dessen Suche er sich begibt", wie sie im Interview mit der NEUEN ZÜRCHER meint.
"Und dieser Funke beziehungsweise diese Suche ist es, was zugleich alle Menschen miteinander verbindet. Alle gehören zum selben Kreis, alle sind miteinander verbunden, niemand ist besser oder höher als ein anderer, niemand ist ausgeschlossen."

Wie gelingt das Leben?

Ein schönes Gedankenexperiment – die Realität sieht leider oft sehr viel anders aus. "Wenn wir uns gesund fühlen, sind wir gesund. Wenn wir uns krank fühlen, sind wir krank", lesen wir in der Wochenzeitung DER FREITAG.
"In der Pandemie ist es auf einmal so, dass wir uns gesund fühlen, aber schon längst das Virus in uns tragen können, andere infizieren können, vielleicht sogar kurz vor dem Tod stehen", sagt im Interview die Philosophie-Dozentin Olivia Mitscherlich-Schönherr.
"Zugleich erinnert uns die Krise an die Ungewissheit unserer Existenz. Das allgemeine Wissen über unsere Sterblichkeit ist auf einmal sehr konkret geworden. Auf einmal sind es nicht mehr nur die anderen, die sterben werden, sondern ich selbst bin betroffen. Es stellen sich uns also neu und dringend die alten Fragen: Wer bin ich, und was ist ein gelingendes Leben?"
Und "was ist Weisheit?" – das will die NEUE ZÜRCHER noch von Elif Shafak wissen. "Das ist lebenspraktisches Wissen, wenn Kopf und Herz zusammenkommen", meint die Literatin. "So viel Wissen und Weisheit wie möglich, nur so viel Information wie nötig."
So viel aber doch.
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