Aus den Feuilletons

Die Lichtgestalt und der Sekretär

Dr. Gottfried Benn in seinem Berliner Büro am 18.8.1953.
Tauschte 25 Jahre lang Briefe mit dem Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze aus: Dr. Gottfried Benn in seinem Berliner Büro am 18.8.1953. © imago / United Archives International
Von Tobias Wenzel · 12.03.2016
Der Briefwechsel zwischen dem Dichter Gottfried Benn und dem Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze von den 1930er-Jahren bis in die 50er, der nun auf 2000 erschienen ist, ist einer zwischen zwei Ungleichen, so der "Spiegel". Der eine so etwas wie ein ehrenamtlicher Sekretär, der andere gottgleich.
"In Ihrem Brief die Stimme eines Gottes, die Stimme des Erlösers, nicht mehr menschlich, überirdisch Friede und Traurigkeit", schrieb der Bremer Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze 1936 an den von ihm verehrten Dichter Gottfried Benn. "Wie danke ich Ihnen?" Gisela Trahms zitierte das wiederum für die LITERARISCHE WELT in ihrer Rezension des mehr als 2000 Seiten umfassenden Briefwechsels zwischen Dichter und demütigem Bewunderer. Der war so etwas wie ein ehrenamtlicher Sekretär aus der Ferne, meint man aus der Rezension von Florian Illies für den neuen SPIEGEL herauszulesen.
Der eine servil, der andere für den ersten eine gottesgleiche Lichtgestalt – trotz dieses Missverhältnisses sei in dem fast 25 Jahre andauernden Briefwechsel so etwas wie Freundschaft entstanden, schreibt Illies. Der Dichter habe sich von Hitler verführen lassen und über die "Züchtung" von Menschen geschrieben und sich dann später, nachdem er selbst Publikationsverbot bekam, revidiert. Oelze sei ihm immer gefolgt und eine Stütze gewesen. Und so habe Benn wenige Wochen, bevor er starb, mit Blick auf seinen Tod Oelze noch ein letztes Mal geschrieben: "Jene Stunde wird keine Schrecken haben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen, wir werden steigen – Ihr B."
Der Philosoph Peter Sloterdijk und der Politologe Herfried Münkler sind sicher keine Freunde. Aber ihr über das Feuilleton geführter Schlagabtausch könnte noch zu Buchdicke anwachsen. Sloterdijk hatte in einem Essay für den "Cicero" die Flüchtlingspolitik Angela Merkels scharf kritisiert und vor einer "Überrollung" durch Asylbewerber gewarnt. Münkler warf Sloterdijk daraufhin in der ZEIT "Dahergerede" vor, worauf der Philosoph in derselben Zeitung Münkler unterstellte, er habe ihn "mit Absicht" falsch gelesen und solle doch lieber seine "Ungezogenheiten […] überdenken". In dieser Woche dann schlug, erneut in der ZEIT, der Politologe zurück: "Sloterdijk muss sich […] entscheiden, was er will: die im Cicero bezogene Position verteidigen oder die Stellung räumen und klein beigeben.
Dass er in dem ZEIT-Essay so viele Worte gebraucht hat, um schließlich nichts zu sagen, hat seinen Grund auch darin, dass er selbst nicht weiß, was er will." Für Münkler ist der Essay Sloterdijks aber auch "die Abdankungserklärung eines Typus öffentlicher Intellektualität", der nicht klar argumentiere, sondern mit "dunklen Metaphern Gedankenschwere" simuliere. Dieser "Tanz der Metaphern" sei, in der Debatte um die Flüchtlinge und Europa, "wenig hilfreich".

"Die Ohren ausputzen"

Wie dagegen Nikolaus Harnoncourt Metaphern tanzen ließ, ist wohl auch Herfried Münkler recht. "Können Sie da bitte mehr Weihrauch geben?", habe Harnoncourt dem Arnold Schönberg Chor für die Interpretation von Haydns "Mariazeller Messe" als Anweisung gegeben. Und während der Einstudierung von Haydns "Schöpfung" habe der Dirigent gefordert: "Und die Flöte dann wie eine Rotkreuzschwester, die einen noch streichelt." Wolfgang Sandner zitierte das in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG in seinem Nachruf auf den mit 86 Jahren gestorbenen Österreicher.
Der Sohn adliger Eltern, eigentlich Nicolaus Graf de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, sei "undoktrinär neugierig" gewesen und habe als Pionier der historischen Aufführungspraxis Herausragendes geleistet: "Wie vital, differenziert, dramatisch und klangfarbenreich die polyphone Musik des Mittelalters und der Renaissance klingen kann und uns damit ebenso zu rühren vermag wie ein Schubert-Lied, hat im Grunde so frappierend erst Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus musicus demonstriert, zu dem auch seine Geige spielende Frau Alice gehörte", urteilte Wolfgang Sandner in der FAZ.
"Die Ohren ausputzen nannte Harnoncourt sein höchstes Ziel", schrieb Reinhard J. Brembeck in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Dieser "Ohrausputzer" und Beethoven, dessen Sinfonien er Anfang der 90er-Jahre auf CD einspielte, seien "eine beeindruckend geerdete Symbiose" eingegangen, und die Einspielung habe Harnoncourts endgültigen Durchbruch bedeutet. In "seinen besten Momenten" sei er ein "genialer Dirigent" gewesen, übrigens einer, der nie einen Taktstock benutzt habe. "Fast ein Leben lang ist er bekämpft worden", erinnerte sich Peter Hagmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Er und seine Mitkämpfer für den historischen Klang, ergänzte Jürgen Flimm in der ZEIT und machte das klar, indem er kurz den Anwalt des Teufels gab: "Allesamt Spinner, die durch staubige Scheunen krochen, um barocke Musikinstrumente zu finden […]."

"Öfter mal eine funktionierende Familie bringen"

Als wirkliche Spinner erschienen im Artikel von Julia Bähr für die FAZ gleich mehrere AfD-Politiker, die schon bald im Landtag Baden-Württembergs sitzen könnten. So habe Heinrich Kuhn den Klimawandel in einem Interview als "die Erfindung einer amerikanischen Werbeagentur, die im Jahr 1986 aus dem CO2-Ausstoß Profit schlagen wollte", bezeichnet. Und AfD-Kandidat Stephan Schwarz habe erläutert, wie genau die Partei auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Einfluss ausüben möchte, um Ehe und Familie positiver darzustellen: "Wenn sie in Sendungen wie der 'Lindenstraße' öfter mal eine funktionierende Familie bringen würden, wäre das schon sehr hilfreich."
Apropos Ehe. 1938 heiratete Gottfried Benn und erklärte das, so Gisela Trahms in der WELT, seinem verdutzten Brieffreund Friedrich Wilhelm Oelze wie folgt: " … ich habe die letzten Jahre in zerrissener Bettwäsche geschlafen u. wenn ich krank war, musste ich mir die Haferflocken allein durchs Sieb rühren –, ich mag nicht mehr!"
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