Aus den Feuilletons

Die heutige Pippi-Langstrumpf-Welt

04:22 Minuten
Pippi Langstrumpf eingehüllt in einen blauen Schal.
Frech, frei und unabhängig: Pippi Langstrumpf ist eine der weltweit bekanntesten Kinderbuchfiguren © imago
Von Ulrike Timm · 27.03.2019
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Pippi Langstrumpf mit ihrem Motto "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt" wird in der "Neuen Zürcher Zeitung" zitiert, um unseren Umgang mit Fake-News zu beschreiben. "Gäbe es nicht so viele Trottel, wären Fake-News ein Randphänomen", schreibt die "NZZ".
"Ich, eine Maschine, die nie funktioniert", so ist das Interview mit dem deutsch-italienischen Theatermacher Roberto Ciulli in der ZEIT überschrieben. Und Ciulli lächelt dazu, so verschmitzt und jungenhaft und wissend, dass man sofort zu lesen beginnt und etwa den klugen, aber schwerblütigen Essay des Soziologen Wolfgang Streeck zur schwammigen "Pro Europäer" Bewegung erst mal zur Seite legt.
"Lieber den Deckel draufhalten", so heißt es da, ebenfalls in der ZEIT, aber wir kehren zurück zum Theatermacher Ciulli.
"Lieber den Deckel draufhalten"? – Das hat der inzwischen 85-jährige und quietschfidele Gründer des Theaters an der Ruhr nun wirklich nie gemacht. Stattdessen mit seinem Ensemble in 42 Ländern gastiert.
Und was erzählen sie einander, Peter Kümmel von der ZEIT und Roberto Ciulli? Im hin und her stromernden Pingpong der beiden geht es um Flüchtlingselend und schlechtes Gewissen, Hegels Phänomenologie des Geistes, die Frage "Wie würde Shakespeare heute denken, wenn er Beckett kennengelernt hätte?", die Musikalität des Italienischen und die Präzision des Deutschen, wenn es um Emotionen und Gedanken geht - alles auf einer Seite.
Und bei aller Präzision des Deutschen: "Das Wort ‚Schauspieler‘ ist eigentlich eine Beleidigung", findet Roberto Ciulli.
"Actor, attore ist besser – derjenige, der handelt. Der attore tut öffentlich das, was wir alle lebenslang tun müssen: Er baut sich zusammen aus fremden Gedanken, die er zu eigenen macht."

Jeder glaubt nur, was er will

Der Philosoph Philipp Hübl zitiert Pippi Langstrumpf, wenn’s ihm in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG um den Umgang mit vermeintlichen Wahrheiten geht und unsere Tendenz, so ziemlich jedem Mist aufzusitzen, der unsere Meinungen, Erwartungen und vor allem moralischen Vorstellungen bedient. "Ich mach mir die Welt so, wie sie mir gefällt!"
"Die Anfälligkeit für Stammesdenken und die Produktion von Fake-News sind also die passive und aktive Seite derselben Medaille. Mit beidem versuchen Menschen, ihr Selbstbild zu erhalten und zu schützen, entweder unbewusst und automatisch durch selektive Wahrnehmung oder aktiv und vorsätzlich durch Lügen und Bullshit", so die NZZ.
Das wäre nun alles gar nicht so schlimm, gäbe es nicht noch den häufigsten aller Typen, den Trottel – "der den ganzen Unfug anklickt, Likes gibt und teilt. Ihm sind Fakten eigentlich nicht egal, aber er geht fahrlässig mit der Wahrheit um und leitet Informationen ungeprüft weiter. Gäbe es nicht so viele Trottel, wären Fake-News ein Randphänomen."

Selbstversuch in der Esoterik

Für die WELT hat sich Manuel Brug im Selbstversuch auf die esoterisch-wunder-wabernde Hörexkursion begeben, die die Performance-Künstlerin Marina Abramovic bei einem musikalischen Workshop in Frankfurt veranstaltet hat, unter großem Getöse der Feuilletons. Brug hat sich, immerhin, dabei zeitweise ganz gut entspannt und schreibt: "Ich beschließe, vor dem nächsten Konzert das Handy einfach fünf Minuten früher auszuschalten als sonst. Danke, Marina Abramovic!"

Der Schlaf der Elite

"Wenn das Zentralorgan der deutschen Leistungsgesellschaft, das Manager-Magazin, in seiner neuen Ausgabe den Schlaf ‚zum Kennzeichen der wahren Elite‘ erhebt, dabei sich auf die ‚New York Times‘ mit ihrer Expertise ‚Schlaf ist das neue Statussymbol‘ berufend – dann müssen alle Wecker schrillen", findet die Frankfurter Allgemeine in einer Glosse.
"Quality time, Entschleunigung, Schlabberdress und was der Selbstentfremdungsüberwindungskitsch sonst noch für Versprechen mit sich führt" seien jetzt eben auch in den Chefetagen angekommen. Die schwer ausgeschlafene Elite aber ist der FAZ suspekt, und so beschwört sie das kreative Potential der durchwachten und durchgearbeiteten Nacht.
Das kann man alles auch sehr anders sehen. Aber das Fazit, dass die FAZ zum neuen, hippen Managergebaren zieht, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten:
"Das ist in der Tat das Verschnarchte an der neuen, schneidigen Ausgeschlafenheit: dass sie vor den Kosten ihrer Nachtflucht, dem Verlust an Grauensbewusstsein, einfach die Augen verschließt."
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