Aus den Feuilletons

Die Heimat zurückerobern - als Terminus

04:20 Minuten
Gartenzwerge stehen am 25.08.2017 in der Gartenzwergmanufaktur in Gräfenroda (Thüringen) in einem Fenster. Über 500 verschiedene Figuren von vier bis 60 Zentimetern werden hier hergestellt. Seit 1874 fertigt Familie Griebel die gebrannten Tonfiguren, mittlerweile als einzige Firma in Deutschland. Besonders viele Kunden außerhalb Deutschlands gibt es in Frankreich, Österreich, Italien, Holland und der Schweiz. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Was ist Heimat? © dpa-Zentralbild / Jens Kalaene
Von Adelheid Wedel · 24.10.2019
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Die Worte "Heimat" und "Nation" stehen aktuell im Mittelpunkt des Herbstsalons am Maxim Gorki Theater Berlin. Wie der "Tagesspiegel" berichtet, wollen die Festivalmacher mit ihrem Treffen intervenieren und die "Deheimatisierung politischer Diskurse" anregen.
"Der Begriff 'Heimat' schließe immer aus, sei immer patriarchal-autoritär, genauso wie der Begriff 'Nation'." Diese These ist im TAGESSPIEGEL nachzulesen. Sie stammt von den Festivalmachern des 4. Herbstsalons am Berliner Maxim Gorki Theater, der von diesem Wochenende bis Mitte November dauert.

Eine alternative Heimatpolitik entwerfen

"Das Gorki will mit Kunst, Theaterstücken und Diskussionen neue Möglichkeiten der Zugehörigkeit finden", heißt es weiter in der Zeitung, die auch die Eröffnungsrede von Bilgin Ayata zur begleitenden Konferenz abdruckt. Die Migrationsforscherin stellt fest:
"Wie dringlich eine Intervention wie der Herbstsalon ist, zeigen die gegenwärtigen politischen Entwicklungen. Das parteiübergreifende Wettrennen um die Deutungshoheit des emotionalen und politisch aufgeladenen Heimatbegriffs fand mit der Institutionalisierung eines Heimatministeriums seinen vorläufigen Höhepunkt."
Um gegen die den Heimatdebatten zugrunde liegenden Machtverhältnisse anzugehen, fordert sie die "Deheimatisierung politischer Diskurse." Einer von Rassismus konturierten Heimatpolitik gelte es, eine Alternative entgegenzusetzen. "Diese Alternative benötigen wir überall dort", so Ayata, "wo unter dem Vorwand der Migrations- oder Terrorismusbekämpfung demokratische Grundrechte und Völkerrechtsprinzipien missachtet werden. Sei es in der Türkei, in den USA oder in Europa."

Das deutsch-jüdische Verhältnis

Die Verteidigung demokratischer Grundrechte für alle Bürger erweist sich als dringende Aufgabe für unsere Gesellschaft. Es ist jetzt "nicht die Zeit zum Überraschtsein", wie Carolina Schwarz in der Tageszeitung TAZ in Auswertung einer aktuellen Studie schreibt. Ronald S. Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, hatte sie in Auftrag gegeben.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG kommt Lauder selbst zu Wort. Er klagt an und mahnt: "Das deutsch-jüdische Verhältnis wird immer kompliziert sein. Dies wird niemals verschwinden. Aber" - und das gibt dann doch ein wenig Hoffnung - "seit dem Zweiten Weltkrieg wurden viele wichtige Schritte unternommen, um unsere Beziehungen zu verbessern. Der Terroranschlag auf die Synagoge in Halle verdeutlicht jedoch ein massives Versäumnis."
Die in Auftrag gegebene Studie "legt konkrete Zahlen dafür vor, dass Antisemitismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch ist. Die Studie muss uns Anlass zum Innehalten geben", setzt Lauder fort. "Und jeder sollte erkennen, dass dies nicht nur eine 'jüdische Angelegenheit' ist. Vielmehr geht es doch um die entscheidende Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir zukünftig eigentlich leben?"

Kulturland zwischen Kunst und Rechtsrock

Um diese Frage geht es auch Michael Bartsch in der TAZ mit Blick auf Thüringen. Unter der Überschrift "Von Weimar bis Themar" betrachtet er "das Kulturland zwischen großer Kunst und Rechtsrock." Er schreibt: "Reflexartig verbinden sich mit dem Kulturland Thüringen Assoziationen kultureller Touristenattraktionen. Den Kontrapunkt zu solcher Hochkultur bildet eine Antikultur, die Thüringens Ruf beschädigt."
Beweis dafür: "Im Vorjahr wurden 71 belegbare Nazi-Rockkonzerte gezählt, so viele wie in keinem anderen Bundesland." Schwerpunkte sind Apolda und vor allem Themar, "wo ein AfD-Mann sein Grundstück zur Verfügung stellt." Er heißt Tommy Frenck, im benachbarten Kloster Veßra betreibt er eine Kneipe und einen Versandhandel. Mit den Konzerten beschafft er Geld für die rechtsextreme Szene.
Bartsch entdeckt bei seiner Recherche: "Die von der Neuen Rechten in die Gesellschaft getragene Polarisierung fordert auch in Thüringen Reaktionen der Kulturszene heraus." So sagte beispielsweise der Intendant des Rudolstädter Theaters Steffen Mensching bei einer Umfrage:
"Die zunehmende Aggressivität der Meinungsbildung, die Unerbittlichkeit, die wachsende Respektlosigkeit und der Verlust an Dialogfähigkeit, all diese Entwicklungen müssen wir im Blick haben, schon deshalb, weil es Haltungen sind, mit denen man kein Theater machen kann."
Und nicht nur dessen Existenz ist bei fehlender Dialogfähigkeit bedroht.
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