Aus den Feuilletons

Die Glaubwürdigkeit des Radios

04:04 Minuten
Ein antikes Radio steht auf einem Sideboard vor einer Wand
In Zeiten von Fake News glauben Franzosen am ehesten den Nachrichten aus dem Radio, schreibt Jürg Altwegg in der "FAZ". © imago images
Von Hans von Trotha · 16.01.2020
Audio herunterladen
Das Vertrauen in die TV-Berichterstattung habe in Frankreich zugenommen, schreibt die "FAZ". Paradox: Im misstrauten Internet holten Nutzer sich die meisten Informationen. Das bilderlose Wort lasse allerdings das Radio am Glaubwürdigsten erscheinen.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG fragt Johan Schloemann:
"Warum Historiker die Geschichte von Christentum, Judentum und Islam neu erzählen wollen. Der Hass auf und zwischen Religionen war nie verschwunden, aber zuletzt flammt er wieder stärker auf. Auch wo es friedlich zugeht ist was los in der Religionsarena: Jürgen Habermas führt detailliert wie nie durch das historische Ineinander von christlicher Theologie und Aufklärung in Europa, 'Maria 2.0' protestiert gegen den Zölibat, und der Schriftsteller und Staatsrechtler Bernhard Schlink fordert in der FAZ eine Beratungslösung beim Wunsch auf Kirchenaustritt."
Wenn wir das, was um uns herum so passiert, nicht mehr recht fassen können, ist das die Stunde der Geisteswissenschaften. Die sollen das dann sortieren. Und die, nun ja, die, so Johan Schloemann, "reagieren auf die gegenwärtige Lage – wie auch sonst? – mit historischer Differenzierung."

Ideen aus der Vergangenheit für die Zukunft

Schloemann zitiert den Historiker David Nirenberg mit dem schönen Gedanken: "Im Geist von Walter Benjamin sollten die Geisteswissenschaften versuchen, im Archiv Möglichkeiten einer besseren Zukunft zu finden."
"Im Archiv Möglichkeiten einer besseren Zukunft" finden – das ist doch mal ein Motto und zugleich eine Aufgabe für das neue Jahrzehnt. Das wird schon. In der Musik zum Beispiel.
In der TAZ wirft Steffen Greiner schon mal einen Blick ins kommende Popjahrzehnt und stellt fest: "Waren die Zehner eher geprägt von Vermischung und Auflösung könnten die Zwanziger vielleicht zum Jahrzehnt der Stimmenvielfalt werden."
Wenn das nicht hoffnungsvoll klingt. Und es wird noch besser.

Macron kämpft für die Meinungsfreiheit

Beim Neujahrsempfang für die im Elysée akkreditierten Journalisten, der, so die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, "zu den Ritualen der 'monarchistischen' Republik gehört", gab sich Präsident Macron laut Jürg Altwegg "kämpferisch", und zwar für, man mag es kaum glauben, die Meinungsfreiheit.
Altwegg zitiert die jährliche Bestandsaufnahme der katholischen Zeitung "La Croix" - warum überlässt man in Frankreich eigentlich Erhebungen über die Meinungsfreiheit ausgerechnet einem Organ der katholischen Kirche? Es geht um die "Vertrauensquote" – auch etwas, mit dem die katholische Kirche gerade eher hadert – sonst bräuchte sie keine Beratungslösung für Kirchenaustritte.
Aber egal: "Beim Fernsehen", meldet La Croix, "wie bei den Zeitungen ist die Vertrauensquote um zwei Prozent gestiegen. Am höchsten bleibt sie beim Radio: Dem gesprochenen Wort ohne Bilder vertrauen die Bürger am meisten." Na also.
Allerdings schüttet Altwegg gleich Wasser in den Wein: "Das Verhalten der Franzosen ist schnellen Veränderungen unterworfen und widersprüchlich." Sein Beispiel: "Am meisten misstrauen sie dem Internet, das sie dennoch als häufigste Nachrichtenquelle benutzen. Immerhin sind sie sich bewusst geworden, regelmäßig mit Fake News konfrontiert zu werden."

Postkarten aus dem Fake-Urlaub

Das könnte noch mehr werden, zumal die Postkarte als potentieller Fake hinzukommt, wie Bernd Noack in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG berichtet, Stichwort: "Fake-Urlaub". Eine Firma, die sich "Alibi-Urlaub" nennt, bietet als Service an, daheim geschriebene Postkarten in einem beliebigen Land, "von Ägypten bis Vietnam" abstempeln und abschicken zu lassen. Das ist immerhin weitgehend klimaneutral. Und, so Noack:
"Das Gefühl, irgendwo gewesen zu sein, wird durch den fingierten Beweis ersetzt und mit Poststempel beglaubigt. Im schönsten Fall schickt man sich selber so eine Ansichtskarte und registriert erstaunt, wo man überall hinkommt."
Überhaupt scheint die Unübersichtlichkeit der Gegenwart dem Archiv der Möglichkeiten vor allem Varianten der Rückbesinnung auf sich selbst hinzuzufügen. Der eine schreibt sich eine Postkarte und glaubt den Selbst-Fake, weil er gestempelt ist, eine andere, in diesem Fall die Sängerin Okay Kaya, lässt sich in der TAZ mit dem Satz zitieren:
"Wenn man mich fragt, was die Zukunft bereithält – dann sage ich, dass das Einzige ist, was ich hoffe, dass die Zukunft mir weiterhin Glück bringt. Alle sind überrascht über meinen Optimismus, aber ich hebe mir den Nihilismus einfach für besondere Momente auf."
Durchaus eine bedenkenswerte Variante aus dem Archiv der Möglichkeiten für das neue Jahrzehnt.
Mehr zum Thema