Aus den Feuilletons

Die gläubige Kommunistin

04:16 Minuten
Eine ältere Frau sitzt an ihrem Schreibtisch, auf dem eine Schreibmaschine steht.
Rossana Rossanda 1987 in ihrem Haus in Rom. © imago images/Marcello Mencarini/Leemage
Von Arno Orzessek · 21.09.2020
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Die italienische Journalistin Rossana Rossanda ist mit 96 Jahren gestorben. In der „Süddeutschen Zeitung“ wird an die Gründerin der Tagezeitung "Il Manifesto" opulent erinnert. Und die „FAZ“ berichtet vom lautstarken Klassenkampf in der Oper von Madrid.
Wir können mal wieder nicht alle erwähnenswerten Artikel erwähnen…
Aber auf keinen Fall unerwähnt bleiben soll der Nachruf von Willi Winkler auf die italienische Journalistin und Politikerin Rossana Rossanda in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, der mit den Worten anhebt:
"Wenn der Kommunismus sich noch an seine illegitime Herkunft aus der katholischen Kirche erinnern könnte, würde jetzt von Mailand bis Rom der gleiche Ruf erschallen: ‚Subito Santa!‘ In männlicher Form wurde so 2005 die sofortige Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. gefordert. Ginge es mit rechten wie linken Dingen zu, müsste auch Rossana Rossanda, die Kommunistin mit dem Namen einer Korsarenbraut, auf der Stelle unter die Heiligen versetzt werden. Sie war vielleicht kein Papst, füllte aber das außerplanmäßige Amt einer Gegenpäpstin aus, eine gloriose Dissidentin, dabei aber glaubensstark bis zum letzten Atemzug. Sie verließ zwar, als es Zeit war, die Parteilinie, wurde aber nie schwach im Glauben an ihre Erlösungsreligion. (‚...‘), der Kommunismus mag sich geirrt haben, aber falsch war er nicht."
Bitte sehr: So geht Feuilleton!
Und keine Sorge: Zwar bezirzt Winkler eingangs, wie gehört, durch gewaltige Assoziationen und fülligen Sound… Aber im Weiteren breitet der SZ-Autor das Wirken der verstorbenen Gründerin der italienischen Tagezeitung IL MANIFESTO so kompetent aus, dass wir bedauern, sie zu Lebzeiten selten wahrgenommen zu haben.


Ebenfalls erhellend: Paul Ingendaays Bericht über einen Klassenkonflikt in der Königsoper von Madrid, nachzulesen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Am Vorabend der neuen, selektiven Ausgangssperre, die laut Ingendaay "den ärmeren Vierteln des Südens (der Stadt) harte Corona-Beschränkungen auferlegt, die für wohlhabendere Zonen nicht gelten", trug sich Folgendes zu:
"Als Besucher der preiswerteren Oberränge des Teatro Real ihre Plätze einnahmen, um Verdis ‚Maskenball‘ zu sehen, mussten sie feststellen, dass zwischen den Sitzen nicht die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände bestanden. (…) Unten dagegen, auf den 239-Euro-Plätzen der Feinen und Gepuderten, saß man in luxuriös lockerer Anordnung und lauschte dem Orchester beim Stimmen der Instrumente. (…) Es gab Rufe und Proteste. Die Opernleitung sah sich genötigt, den Besuchern im Olymp per Durchsage anzubieten, ihre Tickets zurückzugeben. Manche Gäste taten es; andere protestierten weiter, und wer das Opernmilieu kennt, weiß, dass sich gerade im Biotop der Gesangsliebhaber fieberhafte Leidenschaften zu entfalten pflegen."
Wir erlauben uns, zu spoilern: Der Protest der ärmeren Schlucker… sie riefen nach unten: "´Fuera!`", "´Raus mit Euch!`"... Erzwang nach einer Stunde den Abbruch der Aufführung.
Der FAZ-Autor Ingendaay – ob er live dabei war oder im Netz Videos studiert hat, bleibt unklar – schließt mit den Worten:
"Man hatte Verdi erwartet und bekam: das Volk. Die Siege dieses Volkes, ach, sie sind kurzlebig. Aber als der Dirigent entnervt aufgab (…), war womöglich irgendetwas gewonnen, auch wenn keiner so recht sagen konnte, was. Jene, die täglich Metro fahren und um billige Tickets anstehen, könnten versucht sein, es die Stimme des Widerstands zu nennen."

Anna Mayr hat die "Die Elenden" geschrieben

Wer das Thema "Ungleichheit" vertiefen will, lese Anna Mayrs Buch "Die Elenden"… Oder zumindest die Kritik von Volkan Ağar, der in der TAGESZEITUNG Mayrs Bekenntnis zitiert:
"‚Es wirkt schnell peinlich, links zu sein – manchmal habe ich das Gefühl, es ist kaum möglich, von einer gerechteren Welt zu sprechen, ohne sich selbst dafür ein bisschen zu verachten.‘"
Folgt man dem TAZ-Autor Ağar, liegt es an der latenten Selbstverachtung, dass Anna Mayr die Gründe der Ungleichheit nicht gründlicher hinterfragt, als sie es in "Die Elenden" tut.
"Aber auch das ist nachvollziehbar (beschwichtigt Ağar). In einer Zeit, in der es als mutig gilt, sozialdemokratische Forderungen zu stellen, gelten jene als komplett verrückt, die mehr als das fordern."
Volkan Ağar kanzelt die Autorin Anna Mayr also nicht ab… Und das ist gut so, denn "Cancel Culture ist das Ende der Aufklärung".
So steht es in der Tageszeitung DIE WELT über einem Artikel des Philosophen Julian Nida-Rümelin.
Aber lesen Sie selbst! Unsere Zeit reicht nur noch für ein Wort: Tschüss!
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