Aus den Feuilletons

Die Frau hinter dem Karrieristen und Taktgenie

04:20 Minuten
Schwarz-Weiß-Foto von Herbert von Karajan bei der Arbeit, aufgenommen im Jahr 1958.
Für Frederik Hansen vom "Tagesspiegel" ist Karajan "der berühmteste Dirigent aller Zeiten". © picture-alliance / akg-images
Von Arno Orzessek · 15.07.2019
Audio herunterladen
Herbert von Karajan ist für die einen „Pultgigant“, „Titan des Taktstocks“ und „romantisches Originalgenie“, für die anderen ein Opportunist, der ohne seine zweite Ehefrau, Anita Gütermann, nicht zu denken ist. Gedanken zu seinem 30. Todestag.
Die Älteren werden sich erinnern, wie schnell sich die Dinge Anfang der 80er-Jahre änderten, als die neue Compact Disc populär wurde und die Schallplatte in die Liebhaberecke verdrängte. Aus manchen Gründen schallplattenlos aufgewachsen, wollten wir uns sogleich eine CD-Sammlung zulegen. Und was die Klassik-Abteilung anging, sollten es möglichst Aufnahmen von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern sein.
Warum wir das hier erzählen? Erstens, weil uns damals Leute mit einiger Ahnung vermittelten, Karajan sei der Größte überhaupt. Wir haben ihnen geglaubt und standen insofern im Bann des Mythos. Zweitens ist Herbert von Karajan nun dreißig Jahre tot. Wir selbst reden heute recht nüchtern über ihn – aber nicht so Frederik Hansen im Berliner TAGESSPIEGEL.

Karajans Karriere im Nationalsozialismus

Für Hansen ist Karajan "der berühmteste Dirigent aller Zeiten", der die "einmalige Aura des letzten romantischen Originalgenies" besaß, "ein Pultgigant" und ein "Titan des Taktstocks". All diese Superlative bringt Frederik Hansen in den ersten Zeilen unter. Um dann einigermaßen geerdet zu erzählen, wie er einst als Schüler stundenlang um Stehplatzkarten für Karajan-Konzerte vor der Berliner Philharmonie anstand.
Bar jeder Verherrlichung informiert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb über die Karriere Karajans im Nationalsozialismus, an der seine zweite Ehefrau, Anita Gütermann, maßgeblich mitgewirkt hat. Aus Sicht der Nazis waren die Gütermanns aufgrund jüdischer Ahnen "Mischlinge 1. Grades". Doch Anita scheute sich nicht, mit Josef Goebbels in Venedig Gondel zu fahren, um Herbert heiraten und beistehen zu dürfen.

Anita von Karajan: "Meine Aufgabe ist erfüllt"

Als Herbert nach dem Krieg die Klassikwelt stürmte und in der New Yorker Carnegie Hall triumphierte, hielt Anita fest: "‚So also, der hat’s geschafft, höher geht’s nimmer, und das nur mit 46 Jahren! Damit ist im Grunde genommen meine Aufgabe auch erfüllt. Ich hab' halt das Talent, Leuten zum Sieg zu verhelfen, sie anzuspornen, zu kämpfen!‘"
Anita von Karajan, wenige Jahre bevor sich Herbert mit dem Dior-Mannequin Eliette Mouret liierte – zitiert in einem SZ-Artikel von Oliver Rathkolb. Das Foto zum Artikel zeigt Karajan übrigens am Ruder einer Segelyacht, den Blick aufwärts, die Haare heroisch zerzaust, an seiner Seite Eliette, hüftbetont dahingestreckt, ein bisschen Monroe, ein bisschen Bardot. Herrenmensch mit Frau beim Segeln, könnte man sagen.

Frieder Burda ließ sich von eigenem Geschmacksurteil leiten

Einen zugänglicheren Charakter hatte der Kunstsammler Frieder Burda, der mit 83 Jahren gestorben ist. In der Tageszeitung DIE WELT heißt es: "Ein liebenswürdiger alter Mann, dem die Beschwerden der späten Jahre wie Raubtiere nachgeschlichen sind. Auf eine sehr direkte Art hat sich Frieder Burda von Anfang an von seinem eigenen Geschmacksurteil leiten lassen", betont der WELT-Autor Hans-Joachim Müller.
"Und wenn er auch so manch steilem Diskurs um seine Bilder nicht ungern zugehört hat, dann löste er gerade so gern die wissenschaftliche Verkrampfung mit dem Hinweis auf, dass es eben doch die Farben gewesen seien, die ihn angesprochenen hätten. Für ihn die eigentliche, die völlig zureichende Begründung."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG behält Rose-Maria Gropp in ihrem Nachruf die Steuerzahler im Hinterkopf: "Gar nicht hoch genug zu preisen ist Frieder Burda dafür, dass er mit seinem unermüdlichen Engagement für die Kunst und mit seinem Privatmuseum nie die öffentliche Hand behelligt hat." Tja, erst Karajan, dann Burda – bleiben wir also heute bei den Toten.

Schriftsteller Jörg Fauser wird von rechts reklamiert

Der Schriftsteller Jörg Fauser, der 1987 von einem LKW überfahren wurde, wäre unter günstigeren Umständen an diesem Dienstag 75 Jahre alt geworden. Die TAGESZEITUNG runzelt die Stirn darüber, dass neuerdings sogar die JUNGE FREIHEIT und der, laut Katja Kullmann, "nach weit rechts abgeschmierte Ex-Spiegel-Mann Matthias Mattusek" Fauser "für sich reklamieren" wollen. Aber ob so oder so: Für Kullmann bleibt "Fausers endverbraucher:innennahes Schreiben" aktuell. Näheres dazu in der TAZ.
Bleibt uns noch, Ihnen ein paar Sommertage zu wünschen, die sich so ausnehmen, wie es eine Überschrift im TAGESSPIEGEL ausdrückt: "Leicht wie Konfetti."
Mehr zum Thema