Aus den Feuilletons

Die fragwürdige Enttarnung der Elena Ferrante

Buchcover: "Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante
Buchcover: "Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante © Suhrkamp
Von Tobias Wenzel · 03.10.2016
Die Bestsellerautorin des Romanzyklus' "Meine geniale Freundin" hatte sich bewusst für die Anonymität entschieden und ihre Literatur unter dem Pseudonym Elena Ferrante veröffentlicht. Nachdem sie nun von der FAS enttarnt wurde, erntet die Zeitung scharfe Kritik.
"Wir wissen nun, dass Anita Raja hinter dem Pseudonym Elena Ferrante steckt",
behauptet der italienische Wirtschaftsjournalist Claudio Gatti in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und spielt damit auf seinen eigenen Enthüllungsartikel an, der unter anderem in der Sonntagsausgabe derselben deutschen Zeitung erschien. Darin versuchte Gatti anhand von Indizien zu belegen, dass die Übersetzerin Anita Raja die Autorin des vierteiligen Romanzyklus "Meine geniale Freundin" ist.
Er verfolgte Rajas mit dem Erfolg von Elena Ferrante gestiegenes Einkommen, ihre Immobilienkäufe und beschaffte sich sogar Unterlagen aus dem italienischen Verlag, der Ferrante veröffentlicht und für den Raja als Übersetzerin arbeitet. Dazu, dass es moralisch äußerst bedenklich ist, eine Autorin aus ihrer bewusst gewählten Anonymität reißen zu wollen, zumal mit solchen Mitteln, erfährt man weder etwas im neuen Artikel von Claudio Gatti noch in dem von Andreas Platthaus. Wer pinkelt sich schon gerne selbst ans Bein?
Gatti geht stattdessen auf die Familiengeschichte von Anita Raja ein: Deren Mutter, eine Jüdin aus Worms, habe mit ihren Eltern nach Italien fliehen müssen. Und Platthaus erkennt in dem Bestseller Ferrantes Einflüsse von Christa Wolf, die Anita Raja ins Italienische übersetzt hat.

"Lieber Steuerbetrüger aufspüren"

Das ist nicht uninteressant. Aber es bleibt das ungute Gefühl der Unverhältnismäßigkeit der Mittel und der Überraschung, dass sich die FAZ auf dieses Niveau begibt.
Thomas Steinfeld vermutet in der SUEDDEUTSCHEN ZEITUNG , der sogenannte investigative Artikel des italienischen Journalisten mit seinen "Einblicken in die Vermögensverhältnisse anderer Menschen" diene weniger dem Verständnis der literarischen Werke als eher der "Befriedigung privater Neugier".
Und Franz Haas berichtet in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG darüber, wie empört Elena Ferrantes Verleger auf Gattis Enthüllungsartikel reagiert habe. "Zur Seite sprang ihm der Autor Erri De Luca, der meinte, mit derartigen Methoden solle man lieber Steuerbetrüger aufspüren", schreibt Haas.
Oder vielleicht das Schöne aufspüren? "Wie wäre es, wenn wir dieses Gespräch mit einem Manifest zur Schönheit des europäischen Gedankens beginnen?", fragt die TAZ den Politikwissenschaftler Claus Leggewie. Und der antwortet begeistert: "Das wäre genau das, was wir im Moment brauchen."

Leggewie: "Wir Europäer sollten langsam aufwachen"

Leggewie hat in seinem neuen Buch "Anti-Europäer" einige Gemeinsamkeiten beim Massenmörder Breivik, bei Putin-Berater Alexander Dugin und beim Dschihadisten Abu Musab al-Suri gefunden.
Alle drei lehnten "die Trennung von Religion und Politik ab" und würden den "kulturellen Pluralismus" bekämpfen. Mehr noch: Der islamophobe Teil im Manifest Breiviks erinnere an die Worte der Identitären.
"Damit unterstelle ich nicht, dass alle Identitären Terroristen sind", erläutert Leggewie. Aber Gedanken wie die der "gewaltsamen Säuberung und Exklusion" treffe man "im gesamten rechtsintellektuellen Spektrum" an: "Und natürlich bei den Straßenprotesten von Pegida, den Aufmärschen vor Flüchtlingsheimen." Das zum Hässlichen.
Aber Claus Leggewie kriegt noch die Kurve zum Schönen: "Wir Europäer sollten langsam aufwachen und uns nicht spalten lassen und die Feinde Europas in ihre Schranken weisen." Rüttelt Leggewie am Schluss seines Gesprächs mit der TAZ auf.
Schluss hat Thomas Roth gemacht. Am Sonntagabend moderierte er ein letztes Mal die "Tagesthemen". "So richtig wurden sie nicht warm miteinander, er und das Pult", schreibt David Denk in der SZ:
"Bis zuletzt hatte man den Eindruck, Roth wäre kurzfristig eingesprungen. So nuschelte er seine Moderationen, so saßen seine Anzüge."
Aber man merkt dem Artikel an, dass der Autor Roth sehr schätzte, nicht zuletzt dafür, wie "leise" der am Sonntag ging, mit den Worten:
"Also danke und noch ein letztes Mal: Kommen Sie gut durch diese herbstliche Nacht. Tschüss."
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