Aus den Feuilletons

Die dunkle Seite des Internets

Eine Person tippt auf der Tastatur eines Laptop Computers.
Pöbeleien, Hass und verbale Gewalt im Netz: Schnell geschrieben, schnell verbreitet © imago / Jochen Tack
Von Hans von Trotha · 28.04.2015
Die "Welt" knöpft sich die "digitale Pöbelkultur" vor. Und alle, die geglaubt haben, in den sozialen Netzwerken könnte es nett zugehen, gleich mit. Das Erstaunen über Hass-Tweets und Nazipropaganda sei naiv und lächerlich.
"Das Wort ist eine ernste Sache", titelt die FAZ. Sie hat Juliette Gréco im Interview. Die 88-Jährige erweist sich als Philosophin, die um die Bedeutung des Wortes weiß.
"Sartre", erzählt sie, "hat mich in der Idee bestärkt, dass das Wort eine ernste, wichtige Angelegenheit ist, die man mit Feingefühl und Verantwortungsbewusstsein behandeln muss."
Wo, wenn nicht im Feuilleton sollte das beherzigt werden. Das gelingt mal so, mal so. Bisweilen wählen Journalisten ihre Worte gerade so delikat wie Politiker. Dann geht es meistens um sie selbst.
Mit der hübschen Formulierung "skeptisch optimistisch" zitiert Christian Meier in der WELT den FAZ-Kollegen Mathias Müller von Liliencron, dessen Blatt, im Gegensatz zu dem von Meier, zu einer Gruppe von Zeitungen gehört, die gerade eine Kooperation mit Google eingeht.
Google spaltet die Zeitungsverlage in zwei Lager
"Von Google umgarnt", titelt die WELT, "Macht mal, Google zahlt", die TAZ – die naturgemäß auch nicht dazu gehört. Anne Fromm fasst ebendort zusammen:
"Die deutschen Verlage lassen sich zurzeit schön in zwei Lager einteilen: Die einen wollen etwas von Google, die anderen kriegen etwas von Google."
In der SÜDDEUTSCHEN erkennt Claudia Tieschky eine "Charmeoffensive des Konzerns". Auch ihr Blatt wird sich an der Kooperation beteiligen. Da wollen die Worte wohl gewählt sein.
Salman Rushdie vergreift sich im Ton
Wohl gewählt wird auch Salman Rushdie das Wort "Pussies" haben, mit dem er sechs Kolleginnen und Kollegen beschimpft, die einer Ehrung von Charlie Hebdo durch den Internationalen PEN fernbleiben wollen.
"Sechs sind nicht Charlie", stellt die WELT fest. Sabine Vogel findet das mit den "Pussies" vor allem frauenfeindlich, denn es bezeichnet, sie erläutert es ausdrücklich, "wörtlich etwa 'Muschis'", aber "eigentlich Feiglinge".
Schriftsteller beharken sich ja gern mit Worten, Journalisten erst recht. Meistens steht dann ein Blatt gegen das andere, künftig vielleicht auch eines mit Google-Fond gegen eines ohne Google-Fond. Nur die ZEIT ist sich wieder einmal selbst genug. Da fallen sie blattintern übereinander her. "Viel Lärm um nichts" heißt eine, so wörtlich: "Antwort auf Ijoma Mangolds Facebook-Hymne in der vorigen Ausgabe der ZEIT" von Ulrich Greiner in der aktuellen Ausgabe der ZEIT.
Es geht, wie könnte es auch anders sein, um Worte - um Formulierungen wie "in Stein gemeißelt" und "Tonfall der Letztverbindlichkeit" auf der einen, "das Tohuwabohu des bloß Meinungshaften" und "seine Sache ernst nehmen" auf der anderen Seite. Ein bisschen unklar bleibt, wer eigentlich Schuld ist - Mangold oder Facebook. Umso deutlicher aber wird: Ulrich Greiner ist erregt.
Internet: Die Alarmanlagen sind nicht grundlos angeschaltet
Marko Martin auch. Der seziert Facebook in der WELT, und zwar die "Digitale Pöbelkultur". Fazit:
"Die (...) Alarmanlagen sind nicht grundlos angeschaltet. Doch unser basses Erstaunen über die dunkle Seite des Internets, über Hass-Tweeds, Terror-Websites, Nazi- und Islamistenpropaganda via Facebook ist naiv und lächerlich. Hatte man tatsächlich geglaubt, in der Welt der sogenannten 'sozialen' Netzwerke herrsche per definitionem eitel Sonnenschein und bereits das Wörtchen 'sozial' garantiere ein Einander-Zugewandtsein?"
fragt Martin. So mächtig sind Worte dann offenbar auch wieder nicht.
Eine Lavalampe kann spannender sein als Facebook
Martin Reichert empfiehlt in der TAZ ein "Analoges Blubbern" gegen Facebook und alles, was man sich sonst so auf dem Tablet erwischen kann. Sein Neffe hat sich zur Erstkommunion einen der analogmöglichsten Gegenstände überhaupt gewünscht: eine Lavalampe. Und, siehe da, Reichert kann berichten:
"Der frisch in die weltumspannende, römisch-katholische Alleinvertretungsgesellschaft eingetretene Neffe war nicht nur sehr glücklich über die pulsierende Magma-Gerätschaft, sondern zog das Betrachten selbiger sogar dem Wischen auf seinem (...) Tablet-Computer vor. Eine Leuchte, die mit der freigesetzten Energie einer Glühlampe eine Flüssigkeit in Bewegung setzt, schlägt ein Tablet mit A7-Prozessor und bewahrt das Kind vor Ballerspielen, Porno- und Katzen-Content."
Das macht doch Hoffnung.
Apropos Hoffnung. Von der FAZ gefragt, was sie nach ihrer Abschieds-Tournee vorhat, sagt die 88-jährige Juliette Gréco:
"Danach sterbe ich."
Dann lacht sie und fügt hinzu:
"Ach, ich weiß es nicht, wir werden sehen."
Neun sollte man sein. Oder 88.
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