Aus den Feuilletons

Die DNA der Kohl-Kinder-Generation

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trägt sich am 18.06.2017 im Bundeskanzleramt in Berlin in das Kondolenzbuch für den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trägt sich im Bundeskanzleramt in Berlin in das Kondolenzbuch für den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ein. © dpa, Maurizio Gambarini
Von Ulrike Timm · 24.06.2017
Die Zeitungen trauern um Helmut Kohl und Gunter Gabriel, umkreisen die lyrischen Sensibilitäten des Büchner-Preisträgers Jan Wagner und beäugen zwei Sexmuffel aus Fernost, die in Berlin Station machen: Der Rückblick auf diese Woche in den Feuilletons.
"Ein europäisches Wunder" nennt die ZEIT die geplante Trauerfeier für Helmut Kohl, sie würde "Deutschland und Frankreich verbinden – und dies in einem Moment, da der Kontinent sich behaupten muss wie lange nicht mehr." "Erhaben, einleuchtend und erstaunlich zugleich" nennt Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Europäischen Staatsakt in Straßburg, und eine "protokollarische Revolution" – schon weil die Europäische Union ja kein Staat ist, und die Kommission keine "echte Regierung".
"Helmut Kohl begann als Reformer – und wurde zum Amtsinhaber. Er erkämpfte die Wiedervereinigung Deutschlands – und spaltete durch die Spendenaffäre seine Partei. Er stiftete Vertrauen – und endete doch verbittert."
So beschreibt Gunter Hofmann die Ambivalenz von Kohls Leben in der ZEIT.
Vor dem Haus des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl haben Passanten Blumen niedergelegt. Oggersheim, 19.6.2017.
Blumen vor dem Haus des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl in Oggersheim© imago / Pacific Press Agency
Hemdsärmeliger formuliert der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG mit Blick auf die familiären wie öffentlichen Zwistigkeiten der Nachkanzlerjahre: "Man mag da kaum glauben, dass es eine Helmut-Kohl-Ruhe geben wird nach Trauerfeier, Begräbnis und Staatsakt…." , nicht zuletzt, weil der ewige Kanzler "immer da" war, "er gehört quasi zur DNA dieser Kohl-Kinder-Generation."

Der Lyriker und sein Grottenolm

"Auf Du und Du mit dem Grottenolm" – vom Kleinen im Großen zum Großen im Kleinen, aber es bleibt zugegeben ein heftiger Schnitt, wir zitieren aus Gregor Dotzauers Verbeugung vor dem neuen Büchner-Preisträger Jan Wagner im TAGESSPIEGEL. Ein Lyriker wird geehrt, ein Naturlyriker dazu, und dann auch noch einer, der eine große und begeisterte Leserschaft auch jenseits der Kritiker hat.
"Jan Wagners Faszination für die Natur – als Gegenmodell zur Kultur, aber auch als Natur des Menschen – prägt seine Dichtung. Und doch ist sie formvollendet, also denkbar unnatürlich, weil in den komplexesten Mustern gehalten, die unsere Sprache gestattet. Zugleich bricht Wagner so lustvoll aus dem Korsett unserer Erwartungen aus, wie sein Marder in den Taubenschlag ein."
So lobt die Frankfurter Allgemeine den diesjährigen Büchner-Preisträger, und so oder so ähnlich klingen fast alle Feuilletons. Ein bisschen krittelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – Jan Wagner mache "das Kleine groß, zielt aber selten auf einen größeren Horizont."
Nur dem SPIEGEL ist das allzu viel Lyrisches aus dem Gemüsegarten:
"Man muss als Leser schon in selbstzufriedener Tomatenstimmung sein oder zumindest eminentes Tomateninteresse mitbringen, eine große Bereitschaft, die Tomate völlig neu zu sehen, um das alles in seiner ganzen Pracht zu würdigen. Vielleicht ist der Rückzug in den geistigen Gemüsegarten die Folge aus Überforderung, Überdruss, Resignation in unserer Zeit. Vielleicht ist Jan Wagner der perfekte Büchner-Preisträger von heute."
Der Dichter Jan Wagner erhält den Georg-Büchner-Preis 2017.
Büchner-Preisträger 2017: Der Lyriker Jan Wagner© dpa/picturealliance/Jens Kalaene
Dieses vergiftete Lob kontern wir mit dem O-Ton des Geehrten, der WELT sagte Jan Wagner: "Ein Gedicht ist kein Leitartikel, doch bedeutet es keinesfalls, dass es weltabgewandt wäre", und auf die Frage, ob er nicht auch hypermodernen Stoffen wie Beton, Silikon, Carbon etwas abgewinnen könne und nicht nur Pflanzen, Tieren und Wetter, antwortet der Lyriker:
"Beton kommt schon vor, Silikon und Carbon bislang nicht – dafür aber durchaus Nägel, Teebeutel, Bettlaken , Sägen, Benzinlachen, Glühbirnen, alte Reifen und so weiter."
Jan Wagner erhält den Büchner-Preis, Gratulation, nicht nur von Gartenliebhabern in Gummistiefeln!

Die Nöte des Kolosses

Wir bleiben lyrisch, wenn auch weniger komplex. Gunter Gabriel ist tot, "er war der größte Sänger, den die deutschen Landstraßen je hatten". Man dachte ja, er sei schlicht unverwüstlich, dieser Mann, dessen Textzeilen zu Ohrwürmern worden, selbst wenn man ihn gar nicht besonders mochte. ",Komm unter meine Decke‘, ‚Papa trinkt Bier‘ und ‚Ohne Moos nichts los‘ – Diese drei Titel geben verkürzt auch Gunter Gabriels Lebenslauf wieder. Viermal verheiratet, Alkoholprobleme, mehrfach pleite. Sorgen und Nöte begleiteten den Koloss, der gerne den harten Kerl spielte", das schreibt Peter Philipp Schmitt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
Musiker Gunter Gabriel
Traumer um Gunter Gabriel © dpa / Britta Pedersen
Erstaunlich, alle Feuilletons, die wohl kaum je eine Tour des Sängers begleitet haben, würdigen ihn mit ausführlichen Nachrufen. Diese Bemerkung von Bruno Dorn in der FRANKFURTER NEUEN PRESSE hätte ihn bestimmt gefreut: "Es kommt mit Gunter Gabriel jetzt ein Mann in den Himmel, der in seinen Liedern – ganz lutherisch – dem Volk aufs Maul geschaut und eine verständliche Sprache gesungen hat. Im Chor der Engel, heißt es, gehöre Gabriel nun zu den Erzengeln, zu jenen SingerSongwritern also, die der liebe Gott etwa für moralische Auskünfte benötigt. ‚Jeder Mann braucht eine Frau‘, ‚Komm unter meine Decke‘, ‚Mach das Licht aus‘: das sind enzyklikaähnliche Songtitel, die wertvolle Fingerzeige in Beziehungsfragen geben."

Zwei Sexmuffel aus Fernost

Auch Viehisches beschäftigte uns in dieser Woche: Deutschland empfing Staatsgäste aus China, mit besonderem Auftrag, "ihr neues Zuhause in allerbester Citylage hat zehn Millionen Euro gekostet, den Flug von Chengdu via Nowosibirsk nach Berlin absolvieren sie in der First Class von Lufthansa Cargo, wo sie von drei Stewards mit Bambussnacks und Getränken umsorgt werden". Der TAGESSPIEGEL hat auch schon die neue Bleibe inspiziert: "Das Paar lebt in einer 5500 Quadratmeter Luxus-WG mit Kletterwald samt Rutschen und Schaukeln – alles doppelt, da jeder seinen eigenen Trakt hat. Immerhin gibt es Stellen, an denen die zwei sich treffen können, sowohl hinter den Kulissen als auch im Tunnel."
Jörg Bodenröder, Leiter Tiertransporte und Tierschutzbeauftragter Lufthansa Cargo (r) und der leitende Zoo-Tierarzt Andreas Ochs halten am 13.06.2017 vor dem neuen Panda-Gehege im Berliner Zoo die Bordkarten für den bevorstehenden Lufthansa Cargo Transport der Pandas Jiao Qing und Meng Meng aus China in den Händen. Die Pandabären werden am 24. Juni 2017 in der deutschen Hauptstadt erwartet.
Jörg Bodenröder von Lufthansa Cargo (re) und Zoo-Tierarzt Andreas Ochs vor dem neuen Gehege im Berliner Zoo für die chinesischen Pandas Jiao Qing und Meng Meng© Wolfgang Kumm/dpa
Aber ob Meng Meng und Jiao Qing da tatsächlich mehr wollen als Pfoten stubsen? Pandabären, das weiß nicht nur die TAZ, "sind fett, faul, tendenziell Sexmuffel". Der Berliner Zoo wird jedenfalls alles dransetzen, den bärischen Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, denn natürlich hofft man auf Nachwuchs – den man dann aber wieder an China zurückgeben müsste, wenn er der Pandabärenkindheit entwachsen ist. Ob‘s dazu kommt? Eine Million Jahresmiete für die beiden ist auch ohne Elternschaft gebongt! Falls die Pandas aber zwischen Mittagsschlaf und Nachmittagsnickerchen ihre Schlafmützigkeit überwinden und tatsächlich eine Runde Sex einschieben, taufen wir das Baby von Jiao Qing und Meng Meng schon mal vorab beherzt Plem-Plem.
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