Aus den Feuilletons

Die Debatte um private Seenotrettung entzweit

Das Rettungsschiff Aquarius, hier am 27. Juni 2017
Seenotrettung mit der Aquarius: Das Schiff wird von einer NGO betrieben. © Lena Klimkeit/dpa
Von Burkhard Müller-Ullrich · 13.07.2018
In der "Süddeutschen Zeitung" empört sich Jens Bisky darüber, was die "Zeit" dieser Tage alles zur Debatte stellt: Ertrinkenlassen als Mittel der Abschreckung.
Ohne die ZEIT zu nennen, geht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Jens Bisky mit der ZEIT ins Gericht. Denn die ZEIT hatte gerade das aus SZ-Perspektive unverzeihliche Sakrileg begangen, die Aktivitäten der privaten Seenotrettungsorganisationen vor der libyschen Küste kritisch zu betrachten, weil sie viele Migrationswillige dazu verleiten, sich in Seenot zu begeben.
"Ungeheuerlich", nennt Bisky die Absicht, "durch Ertrinkenlassen abzuschrecken, durch unmoralische Handlungen moralische Wirkungen zu erzielen, Gerettete mitleidlos auf dem Meer herumirren zu lassen, um Furcht zu erregen."

Debatte um private Seenotretter

Das aufgeregte Pathos dieses Textes kommt auch ein bisschen von der Empörung über eine Wochenzeitung, die man bislang fest auf derselben politischen Seite wähnte. In der Tat könnten solche Sätze über ungeheuerliches Ertrinkenlassen und moralisch-unmoralische Handlungswirkungen bislang genausogut in der ZEIT gestanden haben, geistvoll garniert wie bei Bisky mit Honoré de Balzac, Henning Ritter und Adam Smith. Doch jetzt, da die Hamburger Kollegen mal gegen den grünlinken Meinungsstrom geschwommen sind, bekommen sie aus München die korrekte Meinung gegeigt, die so lautet:
"Die Kritik an den Rettern verdeckt im Gewand der Moralkritik die aktuellen politischen Probleme und nährt die Illusion, man könne mit Härte an den Grenzen die Probleme der Migration lösen, sie gleichsam fernhalten."
Lösen vielleicht nicht, aber fernhalten schon – würde man beispielsweise in Ungarn antworten, aber das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr läuft die ganze Argumentation auf einem selbstgelegten falschen Gleis, denn niemand fordert Ertrinkenlassen. Es geht einzig und alleine darum, ob alle Aufgefischten sofort nach Europa gebracht werden sollen. Für Bisky und die SZ scheint das die notwendige, ja moralisch selbstverständliche Folge eines jeden Schiffbruchs vor der afrikanischen Küste zu sein.

150. Geburtstag von Stefan George

Gerade jährte sich zum 150. Mal der Geburtstag von Stefan George, den Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG so charakterisiert:
"Er war ein Exzess, ein Schauspieler, eine Sucht nach Schönheit, eine Gewalttat, eine Verführung, ein Karneval."
Die Aufzählung klingt irgendwie geschraubt und zusammengeschraubt, aber jeder, der sich George nähert und von dessen Sprachgewalt erfasst wird, muss erleben, dass die eigenen Sätze klappern. Kaubes Artikel verfolgt allerdings einen speziellen Zweck, nämlich die Wogen zu glätten, die ein anderer FAZ-Artikel vor genau zwei Monaten hat hochgehen lassen. Jener Artikel handelte vom Kindesmissbrauch im Kreise der George-Jünger und trug dazu bei, dass der Oberbürgermeister von Georges Geburtsstadt Bingen, "den man sich" – wie Kaube naserümpfend hinzusetzt – "nicht als Leser Georges oder gar der Literatur über ihn vorstellen muss",
einen Festakt zum Geburtstag des Dichters absagte. Vor diesem Hintergrund wird der FAZ-Herausgeber jetzt ganz deutlich:
"Nur weil an der Odenwaldschule einst Kinder von Freunden des George-Kreises erzogen wurden, belegt das noch keinen Missbrauch und nicht einmal sexuelle Machtausübung durch den Lyriker."
Und weiter: "Belege für sexuellen Missbrauch im George-Kreis sind bislang jedenfalls nicht gefunden worden. Entsprechende Anklagen gegen seinen Amsterdamer Adepten Wolfgang Frommel, die sich ebenfalls nicht auf Minderjährige beziehen, schlagen nicht automatisch auf alle Bezirke dieses Sektenlebens durch."
Auch die WELT greift das Thema auf, und berichtet von einem Heidelberger Gedenksymposium, auf dem der George-Biograf Thomas Karlauf – der zehn Jahre lang in Frommels Umgebung gelebt hat – sagte, es sei nicht um das Gefügigmachen von Lustobjekten gegangen, alles habe auf Freiwilligkeit beruht.
Aus der WELT ist aber auch zu erfahren, dass in Bingen schon gefordert wurde, das Stefan-George-Gymnasium umzubenennen. Mal sehen, ob sich in fünfzig Jahren überhaupt noch ein Verlag findet, der seine Verse druckt.
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