Aus den Feuilletons

Die Chemie der Welt

Das Bild zeigt in Großaufnahme das Gesicht eines Mannes, der direkt in die Kamera guckt.
Chemielehrer oder würfelnder Gott? Bryan Cranston als Walter White in der US-Serie "Breaking Bad" © dpa/picture alliance/Frank Ockenfels/Amc
Von Arno Orzessek · 27.01.2019
Die Feuilletons feiern den Geburtstag des Periodensystems der Elemente, motzen über das frisch gestartete Kunstprojekt "DAU" in Paris und loben die Fehlerhaftigkeit des Menschen gegenüber der Künstlichen Intelligenz.
Von Bescheidenheit hält die Tageszeitung DIE WELT offenbar wenig. Würde sie sonst ihren Feuilleton-Aufmacher als "Eine Kulturgeschichte der göttlichsten Grafik aller Zeiten" anpreisen?
Aber wir verzeihen der WELT die Großsprecherei. Denn Michael Pilz bemüht sich wirklich anrührend darum, "die Gesetzestafel der Materie", wie er sie coolerweise nennt, groß in Szene zu setzen.
Sie wissen immer noch nicht, worum es geht?
Nun, die Vereinten Nationen eröffnen in dieser Woche das Jahr des Periodensystems der Elemente, dessen erste Version der russische Chemiker Dmitri Mendelejew vor 150 Jahren in Petersburg vorgelegt hat. Und dieses Ereignis feiert die WELT, wohlwissend, dass nicht so viele mitfeiern.

Das Periodensystem der Elemente wird 150

"Das amtliche UN-Jahr ist eine historische Mission. Man sieht den armen Lehrer Walter White in 'Breaking Bad', der großen Fernsehserie zur Chemie, vor seinen leeren Schülern stehen, hinter ihm das Wort 'Periodic Tale' an der Tafel und die Orbitale der Atome, und erklären: 'Das Universum ist zufällig. Subatomare Teilchen, die unaufhörlich und sinnlos kollidieren.' Davon handelt das Periodensystem, von der Frage, ob Gott würfelt oder nicht, wie Einstein sagte, und allem, was daraus folgt."
Tja, für Chemiemuffel, die außerdem das Christal-Meth-Epos "Breaking Bad" nicht kennen, war das jetzt anstrengend. Darum hier nun eine Dosis vom gewohnten Rezensions-Feuilleton.

Großkunstprojekt "DAU" in Paris

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG rechnet Niklas Maak mit dem Großkunstprojekt "DAU" ab. Der begehbaren Dystopie von Regisseur Ilya Khrzhanovsky, die zunächst in Berlin zu erleben sein sollte, nun aber nach großem Tamtam in Paris eröffnet wurde.
"Vieles, was von DAU zu sehen ist, hat ein autoritäres Gefälle. 'Sich einlassen' heißt hier, sich den Regeln eines anderen zu unterwerfen; der DAU-Mensch sucht sein Heil bei Schamanen und Priestern in Selbstversenkung, Fremdsteuerung und alten Weisheiten. DAU steht für den neuen Anspruch an die Kunst, nicht Aufklärung und Aufstand gegen die Verhältnisse, sondern 'Immersion' und Heilung zu bieten – wozu man den Leuten erstmal einreden muss, dass sie krank sind und nicht das System um sie herum."
Einigermaßen erbost: Der FAZ-Autor Niklas Maak.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG motzt Joseph Hanimann über die Filme, die in der abgeriegelten DAU-Welt gezeigt werden. Khrzhanovsky hatte sie gedreht, während er eigentlich mit großem Personal das Leben des sowjetischen Wissenschaftler Lew Landau reinszenieren wollte.
"Diese Filme wechseln zwischen Langeweile und Peinlichkeit. Man folgt den ungeschminkten Darstellern ohne Lichtregie und ohne nachträglich eingespielte Tonspur in ihre banalsten, intimsten, schlimmsten Momente des Alltagslebens, des Liebesakts oder der brutalen Gewalt."
Joseph Hanimann schimpft noch lange weiter.

Künstliche oder maschinelle Intelligenz?

Aber wir wollen Ihnen zu Wochenbeginn auch Ermunterndes präsentieren – und dazu schlagen wir die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG auf.
Dort versichert der Philosoph Reinhard K. Sprenger, dass uns Künstliche Intelligenz – die er lieber "maschinelle Intelligenz" nennt –, in einem entscheidenden Punkt absolut nicht das Wasser reichen kann.
"[Maschineller Intelligenz] fehlt paradoxerweise eine fundamentale Fähigkeit: Sie ist nicht fehleranfällig. Das ist der Vorteil der menschlichen Intelligenz. Wir verrechnen uns oder übersehen bessere Lösungen. Und eben weil wir Fehler machen, haben wir als Spezies über Jahrmillionen überlebt. [Denn] Unser Denken und Handeln folgt keinem Algorithmus, sondern passt sich an […]. […] Es war zu keiner Zeit sonderlich intelligent, ein Wettrennen mit Maschinen zu laufen, das man nicht gewinnen kann. Maschinen sind immer schneller. Wir verlieren da alle Spiele – und sind dadurch die Gewinner."
Tja, ob der NZZ-Autor Sprenger mit seinen simplen Paradoxien richtig liegt, wenn er schon beim Alter der Spezies Mensch um Jahrmillionen daneben liegt? Um das zu erfahren, halten wir uns wohl am besten an den Vorsatz, der in der WELT-Überschrift wurde. Er lautet:
"Wir spielen einfach weiter."
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